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Der Nihilist

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Wo die Überzeugung eines Fortlebens nach dem Tode, zudem auch das Vertrauen an die Fortpflanzung eigenen Wesens in Kindern und Kindeskindern verlorengeht, wird im Angesicht des drohenden Sterbens Verzweiflung zur zwingenden Haltung.

Ein Büchlein Jean Amėrys, der sich 1978 das Leben nahm, belegt dies nur allzu drastisch: Der Autor empfindet die Zeit lediglich als Fallen ins Ungewisse, das Altem als tragisches Ungemach, den Tod als Horror. Dieser Tod hat nichts Lösendes noch Erlösendes, erzeugt nur panische,

schrankenlose Angst, die Arnery aus dem Empfinden der Atemnot deutlich macht.

Das Werk zeigt nicht nur die fatale Blöße einer entwurzelten und damit bodenlosen Seele, die gnadenlose Struktur einer Weitsicht, welcher kein rettender Mythos zugrunde liegt. Es ist zugleich ein Abbild europäischer Dekadenz, ein schauriges Fanal für die moribunden Völker und verfallenden gesellschaftlichen Strukturen, rücksichtslose Diagnose einer Altersgesellschaft, die im Begriffe ist, alle Hoffnung aufzugeben.

Hier offenbart sich ein Stufengang der Desparation, der im individuellen das allgemeine Fatum zur Anschauung bringt. Auf die nihilistischen Bilderstürmer der Aufklärung wartet, nach dem Fall der Mythen, Gevatter Tod: das kunstvoll aufgeblähte Nichts.

UBER DAS ALTERN. REVOLTE UND RESIGNATION. Von Jean Amėry. Klett- Cotta, Stuttgart 1988. 148 Seiten, geb., öS 140,-.

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