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Dicke, vereinigt euch!

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Vor vielen Jahren habe ich die Losung ausgerufen: „Dicke aller Gewichte, vereinigt euch zur Verteidigung eurer Rechte!" Und was geschah? Nichts! Die Dicken, mehr als ein Drittel der Bevölkerung, rühren sich nicht, sie tun nichts, um ein politisches Gewicht zu gewinnen, das ihrem wirklichen Gewicht entspräche.

Die Dicken sind geduldig und gutmütig, weil ihre Nerven mit Fett gepolstert sind und nicht so schnell reißen; weil sie gerne gut essen, und gutes Essen stimmt den Menschen nachsichtiger, es versöhnt ihn auch mit einer ungerechten Welt.

Die Dicken gehen nicht vereint auf die Straßen demonstrieren - dazu sind sie viel zu bequem. Die Dicken bilden die Masse der schweigenden Mehrheit und den Stabilisierungsfaktor der Gesellschaft. Und wie lohnt es ihnen die Gesellschaft? Mit Hohn und Schmach! Die Massenmedien hetzen gegen sie, die Politiker - selbst die dicken - kümmern sich nicht um sie. Sie werden von den Modeschöpfern diskriminiert und die Konfektionsindustrie läßt sich noch die grauen Produkte dieser Diskrimination teuer bezahlen. Die Mediziner jagen den Dicken Angst ein, die Diäterfinder quälen sie... Und alle nehmen dabei den Dicken dickes Geld ab, ohne ihnen dafür etwas zu geben.

Weil man vor den Dicken keine Angst hat, gibt man ihnen nichts, nicht einmal Wahlversprechen, obwohl diese keinen Groschen kosten. Man hat vor den Dicken keine Angst, weil sie nicht organisiert sind. Warum haben wir noch keine Partei der Dicken? Bei einer Basis von zwanzig Millionen fetten Seelen könnte es auf Anhieb die stärkste Partei im Lande werden. Und selbstverständlich auch die gewichtigste.

Für die Partei der Dicken fehlt freilich noch eine theoretische Begründung - es hat noch keiner bewiesen, daß die Dicken eine Klasse, eine Nation oder eine Rasse sind. Theoretische Begründungen sind aber eine Frage der Nachfrage - wenn man sie haben will, werden sie sofort produziert. Und billig. Dasselbe gilt für politische Programme.

Die Dicken sind aber zahlreich genug, um auf Theorien und Programme verzichten zu können. Wie gesagt, es geht nicht um Programme, es geht um die Macht. Ich fürchte, daß die meisten Dicken an der Macht nicht interessiert sind. Sie ziehen einen schönen Braten, ein kaltes Bier und die Ruhe vor. Ich möchte schließlich auch keine Macht haben. Erst muß man um die Macht kämpfen, dann um ihr Erhalten - man hätte nicht einmal Zeit, sich mit einem guten Buch oder einer guten Freundin auf die Couch zurückzuziehen...

Die Dicken sind aber wie die Chinesen - ihre Zahl und ihr Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung wachsen dauernd, die Macht wird ihnen einst so oder so in den Schoß fallen. Hoffentlich wird es gewaltlos gehen, weil Gewalt zu anstrengend ist.

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