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Dickleibig und dünnflüssig

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„Götter, Gräber und Gelehrte“, dieses längst zum Warenzeichen für ein ganzes Genre avancierte Buch von C. W. Ceram, „das sich wie ein Roman liest, muß wegen zahlreicher Ungenauigkeiten und einer zuweilen zügellosen Phantasie mit einiger Vorsicht gehandhabt werden.“ Solch kritisches Urteü über ein Sachbuch, das sich wie ein Roman liest, steht in einem Roman, der sich wie ein Sachbuch hest: auf S. 349 von „Der Glanz des Reiches“.

Stünde nicht gleich unter dem Titel des Buches das harte Wort Roman, könnte man in der Tat den dickleibigen Schmöker mit seinen Landkarten, Genealogietafeln, Abbildungen, Anmerkungen, Bibliographien und Sachregistern für ein populär-historisches Sachbuch halten. Was ja auch der Zweck der 477 Seiten starken Übung ist: ein Buch, das aussieht wie die Präsentation von Ergebnissen der Geschichtsforschung, das sich aber alles aus der Tatze gesogen hat.

Das untrüglichste Zeichen dafür, daß etwas nicht Kunst ist -sagte Brecht einmal -, ist Lange-weüe; der Glanz des Reiches ist schon auf der ersten Seite langweilig. Denn außer dem formalen Einfall bietet das Buch nichts an. Es sei denn, man ist Pennälers genug, um zum hundertsten Mal über das gleiche zu lachen: wenn etwa „Sigmund Freud, Psychopathologie des historischen Daseins, Wien 1902“ zitiert wird, aber gleichzeitig holzhammerhaft -damit nur ja kein Einfaltspinsel bare Münze wähnt - angemerkt wird: „Eine Übersetzung dieses in Frankreich fast unbekannten Textes wäre höchst willkommen.“ Die Parodie bleibt oberflächlich.

Nun ja: alles ist relativ; und da selbst Langeweüe keine objektive Größe ist, wird wohl auch „Der Glanz des Reiches“ Leser finden, denen das Niveau, auf dem geblödelt wird, zur Befriedigung ihres Blödelbedürfnisses bereits hoch genug geschraubt ist

DER GLANZ DES REICHES. Von Jean d'Ormesson. Aus dem Französischen von Gerhard Heller. Verlag Ullstein 1978. 477 Seiten, öS 284,40.

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