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Die großen Unbekannten

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Der Held mußte vom Auditorium Maximum ins Wiener Landesgericht für Strafsachen übersiedeln; die tragische Symbolfigur falschverstandener Courage ist die gleiche: Gerhard Ruiss, Funktionär der Interessengemeinschaft österreichischer Autoren, der im Jänner dieses Jahres rasch zum bejubelten Star avancierte.

„Wollt ihr?" rief er seinerzeit in das ohnehin schon aufgebrachte Publikum. Dann habe es einen einzigen Aufschrei, unaufhörlichen Applaus und unerbittliche „Zeig den Film"-Rufe gegeben, gibt er heute, als Angeklagter, zu Protokoll.

Für Basisdemokrat Ruiss war es ein eindeutiger Volksentscheid und somit die Legitimation, die illegale Vorführung von Achtern-buschs Film „Das Gespenst" anzuordnen.

Helden sterben oft sehr schnell, doch treue Sympathisanten, verbunden durch modischen Kulturgeist, sind auch beim Prozeß live dabei. Der Rahmen ist zwar etwas bescheidener geworden, doch der Beschuldigte kann sich der uneingeschränkten Solidarität der „Kreativen" (Selbsteinschätzung) sicher sein. Alle sind im festen Glauben vereint, daß das Gericht über Sieg oder Niederlage der „Freiheit der Kunst" urteilt.

Damals wie heute geht es jedoch leider nur um einen vordergründigen Etikettenschwindel: In der Wiener Universität war das sensible Thema als große Diskussion angekündigt, doch nach kurzen Einleitungsstatements fand überraschend das gespenstische Großereignis statt. Nicht überraschend: ein bestimmter Kreis der Diskutierwilligen verließ aus naheliegenden Gründen den Saal. Der zeitliche Rahmen der Veranstaltung hätte es zumindest noch ermöglicht, vor dem skandalträchtigen Streifen eine gute Stunde lang zu diskutieren.

Doch Diskussionsleiter Ruiss ließ die „Störenfriede" schnell und gerne gehen, er war ganz im Banne des kindisch provokanten Achternbusch-Films („ein

Kunstwerk, allenfalls ein problematisches"). Liegt dem Kämpfer für künstlerische Freiheit die kontroverse Erörterung des Themas doch nicht so sehr am Herzen (Vorsicht mit voreiligen Schlüssen!) oder ist Ruiss nur ein Dilettant mit Hang zum Spektakel?

Zumindest eine gewisse Begabung zum phantasiereichen Versteckspielen darf man ihm nicht absprechen. Wenn er im Prozeß etwa die geheimnisumwitterte Ubergabe der ersehnten Filmrollen beschreibt, wird jeder Beobachter automatisch zum spannenden Detektivspielen animiert: Ganz überraschend seien vor Beginn der Veranstaltung „zwei Unbekannte mit Trenchcoat und Schlapphüten aufgetaucht". Aber

Ruiss hatte schon damals einen kritischen Blick und lüftet Details: „Ich nehme an, es waren Männer." Auch die Rückgabe der Kopien fand „irgendwo in einem Cafe" unter mysteriösen Begleitumständen statt.

Zu den großen Unbekannten gesellen sich in des Funktionärs Aussagen rechtliche Unkenntnis und eine Vorliebe für Parolen. Monoton führt Ruiss die „Freiheit der Kunst" wie eine werte-lose Floskel im Mund. Da gibt es einen vagen Paragraphen und einen verbotenen Film — das genügt, um den nach Widerstand lechzenden Geist zu entflammen. Die Uber-bringer der illegalen Filmrollen mußte er mit allen zweckdienlichen und unheiligen Mitteln schützen, denn sie hielten „die Freiheit der Kunst" in ihren Händen. Die langen Ausreden des Angeklagten haben die Wahrheitsfindung zur Kriminalgroteske verkümmern lassen.

Seine Gesinnungsgenossen warteten unterdessen geduldig vor der Saaltür und debattierten über mögliche „böse und gezielte Absichten" des Richters. Der Verhandlungsraum faßte nämlich nur ganze sieben Personen, so daß lautstarke Sympathiebekündun-gen ausfallen mußten.

Auch die Sektgläser wurden im Schrank gelassen, denn die „Freiheit der Kunst" wurde auf den 5. Oktober vertagt. Dann könnten zumindest die eingeladenen Zeugen ein wenig Erhellung in die Welt der Widersprüche bringen.

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