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Die Neuen Medien"

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Ich saß in meinem ergonomisch gestalteten Textverarbeitungszentrum, sehnte mich nach einem Blick durch ein schlichtes Doppelfenster in einen ungestylten Herbstgarten und wartete auf den Musenkuß. Da die Eingebung ausblieb — nicht einmal Lyrik zeichnete sich ab! —, kam ich auf die Idee, mich bei meinem großzügigen Verleger nach dem Verbleib der vereinbarten Vorschuß-Abschlagszahlung zu erkundigen.

Das war, mitten in meinem vollintegrierten Kommunikations-Cockpit, eine leichte Übung. Ich strich zärtlich über die Kontakttaste „Verleger" im Telefonfeld, und lautlos stellten unsichtbare Elektronenmännchen die Verbindung her; ein kaum hörbares Knacken und Piepsen gab mir den Einsatz: „Hallo, Rolf, bist Du's? Wirklich Du?" Das war selten, aber ich meinte, seine sonore Stimme zu erkennen, und setzte fort: „Schön, daß Du selber dran bist..." Irgendwie ergriff mich freilich das Gefühl, er verstünde mich nicht recht, denn sein Stimmfluß strömte ungerührt von meiner freundschaftlichen Erregung weiter. So hörte ich: „... ist im Augenblick nicht besetzt. Sie können nach dem Pfeifton eine Nachricht sprechen."

„Rolf, Rolf, ich bin's - Geo. Seit wann sind wir denn wieder per Sie?"

„Vergessen Sie nicht Name, Telefonnummer ___"

Ich wischte über das Stopfeid und die Verbindung war wieder unterbrochen. Verdammt, auch der Verleger hatte sich mit neuester Kommunikationstechnik ausgerüstet.

Schon verdichtete sich in mir das Konzept zu einer wissenschaftlichen Abhandlung über die Vernichtung menschlicher Beziehungen durch den Moloch Technik, da begann mein Fernkopierer zu rattern, das heißt: zu säuseln. Rattern taten die Fernschreiber früher, als es noch nicht so integriert zuging.

Ich las: „Lieber Geo, seit mehreren Wochen warte ich auf die versprochenen Beiträge für das neue Sammelwerk. Durch Deine Saumseligkeit werden die Verkaufschancen immer geringer und die Kosten immer höher. Außerdem: Wenn Du nicht bald lieferst, gibt es vielleicht überhaupt keine Bücher mehr. Freundliche Grüße erwartest Du wohl nicht. Früher Dein Rolf Zappel, Verleger, nach Didaktat verreist, xkz/ 111-34.000 -pft."

Das traf mich tief: in der Sache und in der Form. Nicht einmal mehr für persönliche Korrektur und Unterschrift reichte es. Ich dachte lange wie noch nie nach, um mich kurz wie selten fassen zu können, dann tippte ich: „An den von mir gut lebenden Verleger und früheren Freund Rolf Zappel! Das habe ich nicht verdient, so kannst Du mit mir nicht kommunizieren", ich strich „kommunizieren" durch und setzte statt dessen: „umgehen".

„Ich habe ein Recht auf persönlichen Kontakt, auf Deine Unterschrift und — wie besprochen—auf die Abschlagszahlung zum zweiten Vorschuß. Wenn Du Dich nicht bald meldest, fällt mir überhaupt nichts mehr ein — für Dich wenigstens. Immer Weh Dein Geo —" und jetzt holte ich weit aus „Vor Diktat verreist! Für die Richtigkeit der Abschrift ktc-44.5555-ia".

Ich jagte mein Werk über den Fernkopierer. Dann war mir leichter. Ich wollte eben das 15. Fernsehprogramm antasten, um mich ein wenig bei einer Diskussion über moderne Kommunikationspolitik zu entspannen. Da blinkte das Telefonfeld. Ich drückte das Fußpedal zur Lautstärkeregulierung — und hörte Rolfs sonore Stimme.

Triumph ließ meine Augen bildschirmgrün aufleuchten, doch was mußte ich hören: „Hier spricht Rolf Zappel. Ich bin momentan in meinem Büro nicht erreichbar. Sie haben eben bei mir angerufen, aber in den Antwortspeicher nichts hineingesprochen. Keine Angst vor der neuen Technik, sie hilft uns allen. Also fassen Sie Mut und sagen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben. Bitte sprechen Sie jetzt! Piiip."

Wutdurchglüht riß ich das Telefonpedal aus seiner Halterung und schleuderte es in Richtung Lautsprecher. Ich traf den Bildschirm und, da mir dadurch meine gewohnte Abendbeschäftigung technisch vereitelt war, zwang ich mich aus meinem körperfreundlichen Informationsstuhl heraus und lief orientierungslos und ohne Zielperspektive — in das nächste Bierwirtshaus. Dort klemmte ich mich zwischen lauter lebende Menschen, die sich mit mir betranken: der Fernseher im Lokal war defekt. Es wurde eine laute und lange Nacht.

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