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Die Schönheit der Desintegration

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Irgendwo herrscht eine sachte Anarchie in der Welt, die György Konräd in seinem jüngsten Roman wieder einmal von der Perspektive des tiefen humanistischen Verstehen-Könnens erlebt. Inmitten des Zerfalles der moralisch-ethischen Normen am Rande eines geistigen Nihilismus, entfremdet voneinander und von den Welten - sei es Budapest oder New York - suchen seine Helden nach einer Erlösung, von der sie wohl alle ahnen, daß es sie nicht geben kann. Doch dabei begegnen sie stets einer Art Heimkehr, dem Gefühl, in Bildern, Worten, Düften oder gar in einer Handbewegung zu Hause zu sein, wenn auch nur für kurze Augenblik-ke. Doch diese Augenblicke sind es, die sie zusammenhalten, die sie zu einem Ganzen machen, jede Figur einzeln, erfaßbar und erlebbar für den Leser der Jahrtausendwende.

Mit „Melinda und Dagoman" hat Konräd wieder einen Desintegrationsroman geschrieben: es ist eine seiner höchsten schriftstellerischen Tugenden, daß er das bereits anderswo Dargestellte stets in einer ergreifenden Weise verarbeiten kann, die den Gedanken der Wiederholung nicht aufkommen läßt. So wird das Problem der jüdischen Identität auch nicht übertrieben: das Gefühl der inneren Heimatlosigkeit ist hier eine Frage des Zerfalls des sich mit der Zivilisation auseinandersetzenden Individuums und nicht der religiösen Zugehörigkeit.

Inmitten eines faszinierenden sprachlichen Feuerwerks - von dem weniger stellenweise vielleicht doch mehr besagen könnte -, schafft Konräd grandios die Struktur des modernen Romans und will dabei keine Sekunde lang auf den Leser verzichten. Ein brillantes Werk von weltliterarischem Rang.

MELINDA UND DRAGOMAN. Von György Konräd. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1991.400 Seiten, öS 296,40.

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