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Die Unperson

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Aus sowjetischen Quellen geht hervor, daß die Behörden eine Kampagne gegen Mstislav Rostropowitsch führen, dabei soll er anscheinend zur „Unperson” werden.

Die Leistungen des Cellovirtuosen haben viel zu der Achtung beigetragen, die das musikalische Establishment der UdSSR international genießt. Bei den sowjetischen Behörden ist Rostropowitsch aber in Ungnade gefallen, weil er sich öffentlich für Alexander Solschenizyn eingesetzt hat, dem im Herbst vergangenen Jahres der Nobelpreis für Literatur zuerkannt wurde.

Zum Fall Solschenizyn, der im November seinen Höhepunkt erreichte, nahm Rostropowitsch in einem offenen Brief Stellung, den er an die Redaktionen von vier großen sowjetischen Zeitungen richtete („Prawda”, „Iswestija”, „Literatürnaja Gazeta” und „Sowjetskaja Kultūra”). Keines dieser Blätter bestätigte den Empfang des Schreibens oder druckte es, doch wurde es später im Ausland veröffentlicht. Restropo- witsch kritisierte darin die Unzuständigkeit von Leuten, die sich als höchste Autorität in Kunstfragen ausgeben, und wandte sich gegen das Postulat, daß die Literatur unter staatlichen Kontrolle zu stehen habe. Im letzten Absatz sagt der Cellist voraus, daß er sich damit die Feindschaft der Behörden einhan dein und zur Zielscheibe der gleichen Art von Beschimpfungen machen werde, die auch andere vom Standpunkt des Regimes abweichende Sowjetbürger zu erdulden hatten und haben.

Bald stellte sich heraus, daß er sich die Feindschaft der Obrigkeit tatsächlich eingewirtschaftet hatte. In

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Helsinki und Paris sollte er Kon- zerte geben, aber aus nicht näher erklärten Gründen sagten die sowjetischen Behörden dieses Gastspiel kurzerhand ab. Berichten ist zu entnehmen, daß er mindestens ein Jahr lang nicht im Ausland wird auftreten dürfen. Es verlautet ferner, daß keine sowjetische Publikation mehr seinen Namen erwähnen darf. Ein für die Neuausgabe der großen sowjetischen Enzyklopädie gedachter Beitrag über ihn wurde gestrichen.

Der Fall Rostropowitsch unterscheidet sich vom Fall Solschenizyn. Auch in seiner Heimat gilt der Cellist als einer der besten der Welt. Man kann ihn nicht gut, wie Solschenizyn, als mittelmäßig bezeichnen. Deshalb haben die Behörden anscheinend den Entschluß gefaßt, ihn aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. Damit will man nicht nur ihn strafen, weil er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg gehalten hat; gleichzeitig will man auch andere sowjetische Intellektuelle warnen, die eine Verpflichtung darin sehen, offen und klar zu sagen, was sie für gut oder schlecht für die sowjetische Gesellschaft erachten.

Man kann Rostropowitsch zwar in seinem Kampf um die Meinungsfreiheit zum Schweigen bringen und tatsächlich erreichen, daß er sich aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verflüchtigt, aber sein Plädoyer für die Würde des Menschen wird man auch dann noch hören. In seinem offenen Brief schrieb er: „Jedermann muß das Recht haben, frei von Angst unabhängig zu denken und seine Meinung über das auszudrük- ken, was er weiß und worüber er sich selbst Gedanken gemacht hat. Er ist nicht dazu da, mit geringfügigen Variationen lediglich die ihm eingedmpfte Meinung vorzubiingen.”

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