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Ein Hordentier

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Ludwig Gumplowicz > (1838-1909), ein Begründer der wissenschaftlichen Soziologie im deutschsprachigen Raum, der nun vermittels ausgewählter Texte durch Emil Brix in Erinnerung gerufen wird, ist zweifellos ein moderner Denker.

Geprägt durch Schopenhauer und Nietzsche, durch Fechners Psychophysik, zweifellos auch die nationalen Kämpfe Altösterreichs, suchte der im Krakauer Getto Geborene nach Gesetzmäßigkeiten jener Prozesse und Ereignisse, die ihn umgaben. Gumplowicz, der — wie Otto Weininger — vom mosaischen zum protestantischen Bekenntnis konvertierte, fand diese in einer Natur-

haftigkeit, die er wohl allzu mechanisch interpretierte.

Der ehemals für die Sache Polens tätige Publizist wurde, wie sein Herausgeber fein ertastet, zum müden Skeptiker, zum Kulturpessimisten, der alle Geschichte in stetem Kreislauf von Entfaltung und Verfall begriffen sah. Den Gleichheitsvisionen und Fortschrittsidealen der Liberalen stand er, im Einklang mit der heraufdämmernden Moderne, distanziert gegenüber. Menschliches Verhalten schien ihm weniger durch bewußte Akte . als durch dunkle Triebhaftigkeit zu erklären.

Daß Gumplowicz dabei Willen und Vorstellungskraft des einzelnen wohl unterschätzt hat, ist aus der ehernen Systematik seiner Theorie zu begründen, keineswegs zu entschuldigen. Ob der stille Denker, der 1909 an der Seite seiner erblindeten Frau aus dem Leben schied, „gefährlich“ dachte, wie Brix vermeint, mag jedoch in Frage gestellt werden.

LUDWIG GUMPLOWICZ. ODER DIE GESELLSCHAFT ALS NATUR. Herausgegeben von Emil Brix. Monographien zur österreichischen Kultur- und Geistesgeschichte 2. Böhlau-Verlag, Wien/Graz/Köln 1986. 365 Seiten, öS 296,-.

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