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Am 5. September würde er seinen neunzigsten Geburtstag feiern, und vielleicht wäre er rüstig, durch die Stärke des Willens gegen das Altern gewappnet, bei guter Laune und also zu allerlei Schelmenspielen bereit.

Wenn's so wäre, würden wir uns in seiner Wohnung in der Währingerstraße versammeln, Eisenreich wäre da, Tramin, Do-ra Zeeman (die dann ihr verbittertes Buch doch nicht geschrieben hätte), Schmidt-Dengler, einige mir unbekannte Herren, wahrscheinlich auch eine zur sanften Fülle neigende Dame unbestimmten Alters. Er, der Gefeierte, würde uns und sich selbst mit einem Monolog unterhalten über die Möglichkeit, die Zeit zu überlisten, die Obszönität des Alterns dadurch zu bekämpfen, daß wir uns an der Konkretheit der Erinnerungen festkrallten, die zweite Wirklichkeit gegen die erste ausspielten, mit der Hilfe eines sorgfältig ersonnenen, treffsicheren Witzes.

Es wäre recht lustig zugegangen an diesem 5. September 1986, und wir hätten die vom Hausherren vorbereiteten exquisiten und absonderlichen Mixturen gekostet und das Glas immer wieder auf die Gesundheit unseres Gastgebers geleert.

Heimito von Doderer, den wir gefeiert hätten, ist vor bald zwanzig Jahren gestorben; auch Tramin ist eines Nachts vom Leben zum Tode hinübergeschlafen; vor ein paar Monaten haben wir Eisenreich beerdigt. Die Wohnung in der Währingerstraße ist leer: eine museale Gedenkstätte,* zu besichtigen gegen eine geringe Eintrittsge bühr.

Was tun?Das einzige:Doderers Rat zu befolgen, uns an der Konkretheit der Erinnerungen fest-zukrallen. Solange uns das Kunststück gelingt, ist nicht alles verloren.

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