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Digital In Arbeit

Eine ziemlich einfache Geschichte

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Leicht hat's der Kreuzer nie gehabt.

Den Hof hat er nicht halten können. Die Zeiten waren schlecht. Die Landwirtschaft rentiert sich nicht mehr.

Er hat verkaufen müssen.

Was er herausschlagen konnte, war das Wohnrecht auf Lebenszeit. Zwei Zimmer und Küche. Eins für sich, eins für die Tochter, die in der zehn Kilometer entfernten Fabrik arbeitete.

Die Frau war ihm früh gestorben. Die Tochter besorgte ihm den kleinen Haushalt.

Leicht hat's der Kreuzer nie gehabt. '

Aber selbst, wenn er's leichter gehabt hätte - er gehörte zu den Menschen, die sich nichts schenken lassen wollen. Zu denen, die sich's schwermachen.

Und schließlich weiß man nicht mehr: ziehen sich alle von ihm zurück, weil er's einem so schwermacht, oder macht er sich's so schwer, weil er vereinsamt.

Immer mehr.

Schließlich wechselte auch der neue Bauer gerade noch den Tagesgruß mit ihm.

„Er wächst ein“, sagte er zu seiner Frau, „er sieht aus, als sieht und hört er nix mehr, wenn ich ihn anred'. Versuch du's, auf dich hört er noch.“

Die Frau seufzte und nickte.

Es hatte seinen Grund, daß der Kreuzer sich noch mehr zurückzog, und sie wußte den Grund.

Die Tochter erwartete ein Kind.

Jeder wußte es.

Einmal hatte sie mit dem Kreuzer darüber gesprochen.

„Was hat er g'sagt?“ fragte der Bauer seine Frau.

„Die Schand'“, hat er g'sagt.

„Und du?“

„Ich hab g'sagt, daß er nicht so sein soll und daß keiner mehr so denkt und daß wir im zwanzigsten Jahrhundert leben. Aber er hat g'sagt: „Schand is Schand.'“

„Und?“

„Ich hab g'sagt, daß es vielleicht ein Christkindl gibt.“ „Und?“

„Er hat g'sagt: ,1 pfeif drauf.“' „Wo soll's denn kommen?“ fragte der Bauer.

„Im Haus“, sagte die Bäuerin, „sie will's hier haben. Ich helf ihr.“

Am Morgen des 24. Dezember war so viel Schnee gefallen, daß sie die Tür freischaufeln mußten.

Dieser Tag ist der kürzeste im Jahr, weil's immer noch mehr zu tun gibt, als man noch so sorgfältig vorbereitet.

Für Kreuzer war er so lang wie alle anderen.

Die Bäuerin hatte ungefragt einen Krug mit Tannenzweigen und Kerzen in sein Zimmer gebracht.

Er saß am Fenster, den Stock zwischen den Knien, rührte sich nicht.

Vor dem Fenster war nichts zu sehen außer den hundertjährigen Fichten, die im Sommer einen schwarzen und im Winter einen weißen Wall von zwanzig Meter Höhe bildeten.

Die Bäuerin hatte ein Mittagessen auf den Tisch gestellt und nach einer Stunde wieder hinausgetragen.

Kreuzer hatte sich nicht gerührt. Er saß noch am Fenster.

Die Tochter lag in ihrem Bett. Es war so weit.

Als er das Kind weinen hörte, stand er auf. Er blieb noch lange, auf seinen Stock gestützt, am Fenster stehen und rührte sich nicht. Dann ging er langsam hinaus.

Kurz darauf hörte das Weinen auf.

Draußen fiel kein Schnee mehr. Die Sterne standen groß und klar über dem Wald und den weißen Feldern. Es war sehr kalt.

Als der Bauer und seine Frau am Tisch saßen, wollte er wissen, wie alles gegangen sei.

„Gut“, sagte die Frau, „fürs erste Kind. Der Bub ist groß und kräftig.“

„Und er?“ fragte der Bauer.

„Er ist gekommen.“

Der Bauer sah seine Frau an.

„Und?“

„Ich bin hinaus, als er kam. Nachher war Licht in seinem Zimmer. Da bin ich zu ihm.“

„Was hat er g'sagt?“

Sie bekam ein feierliches Gesicht und saß ganz aufrecht und sprach ganz nach der Schrift.

„Er hat gesagt: ,Ich hab das Kind gesehen.'“

Als der Bauer mit seiner Frau zur Christmette ging, sahen sie, daß im Zimmer von Kreuzer die Kerzen brannten.

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