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Erwin Prölls Illusionen und Ideale

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Die Landesausstellung 1993 in Niederösterreich steht unter dem Motto „Die Familie, Illusion und Realität". Ich meine aber, es müßte heißen: „Die Familie, Ideal und Realität".

Denn die Realität dementiert das Ideal nicht. Das Ideal ist keine Lüge, sondern eine Vorgabe, eine Rfcht-größe. Und es liegt im Wesen des Ideals, daß es nicht erreicht wird. Es ist aber bekanntlich besser in einer halbwegs intakten Familie aufzuwachsen, als im Niemandsland von Menschen, die nur ihren Neigungen und Irritationen nachgehen. Vor der Abweichung aber kommt die Weichenstellung, die Deviation definiert sich nach der

Via, das heißt nach dem Weg.

Mir liegt als Germanisten das sprachwissenschaftliche Beispiel nahe: Dort spricht man von der Grammatik als der idealen Norm, die in unterschiedlicher Weise erfüllt und im Sprechen auch immer wieder verfehlt wird. Manche Fehler fallen dem Sprecher auf und er verbessert sich in Selbstkorrekturen...

Auch die Gesundheit ist besser als die Krankheit. Immer ist der Mensch bestrebt, sie zu erhalten oder wiederherzustellen, obwohl er in diesem Streben letztendlich nicht erfolgreich ist. Der Mensch aber, schreibt Thomas Mann, soll um der Liebe und Güte willen dem Tod keine Macht einräumen über seine Gedanken. Das sollte auch die Familiengeschichtsforschung bedenken, damit sie nicht cum ira et studio die negativen Fall-

beispiele favorisiert.

Favorisieren bedeutet „wohlwollend begünstigen". Die bürgerlichen niederöstereichischen Landespolitiker aber sind, als sie die Illusion in den Titel der Landesausstellung setzten, nicht gerade bei den Weisheitslehrern der Menschheit in die Schule gegangen. Es fehlt halt doch die Landesuniversität. Oder hat sich einfach wieder einmal gezeigt, daß es eine Illusion ist, die ÖVP für eine bürgerliche Partei zu halten. Ideal wäre es, wenn es wirklich eine bürgerliche „Gesinungsgemeinschaft" gäbe statt dieser verbürgerlichten Gewinnungsgemeinschaft.

Siegfried Ludwig und Erwin Pröll haben sich diesmal aber wohl wieder am Zeitgeist orientiert. Oder hat sie Johanna Dohnal beraten?

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