Außer der Wiederholung geläufiger Forschungsresultate, Konfusionen und Banalitäten hat der Historiker Eric Hobsbawm zur letzten Jahrhundertwende wenig zu vermelden. Der Totalentwurf des achtzigjährigen Marxisten scheitert bereits an den Begriffen. So etwa, wenn Moderne zur puren Negation erklärt, Sozialismus mit Marxismus identifiziert oder das Spannungsfeld von Nationalismus und Imperialismus breiig verschmort wird.
Der Vulgarisierungen sind Legion: Da figuriert der analytische Romancier Thomas Mann als roher „Teutone", der dekadente Schönheitssucher Oscar Wilde als Sozialist; das Wiener intellektuelle Leben wird in toto für jüdisch erklärt, die Lebensreformbewegung völlig übergangen.
Kulturgeschichte als Pflichtübung eines historischen Materialisten? Hobsbawms Alterswerk ignoriert jedenfalls konsequent die Eigendynamik des damaligen europäischen Geisteslebens. Kein Wort davon, daß der noch zur Jahrhundertmitte erstarkende Materialismus auf philosophischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Ebene zurückgeschlagen wurde. Auch die im Zeichen von Neuidealismus oder Pantheismus entstandene religiöse Erneuerung wird ignoriert. ' Was Wunder, daß im Sachregister weder spirituell noch ökologisch bedeutsame Begriffe auftauchen, dagegen „Muße", „Staubsauger und „Lesbierinnen". Nachtigall, ick hör dir trapsen.
DAS IMPERIALE ZEITALTER 1875 - 1914. Von Eric]. Hobsbawm. Aus dem Englischen von Udo Rennert. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1989.460 Seiten, öS 608,40.