Das bis heute versäumte Wort

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Über das Versäumnis ein einfaches, kleines, klares Wort zu sprechen, ein Wort ohne „doch“ und „aber“ und ohne Berufung auf den „Kontext“.

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Über das Versäumnis ein einfaches, kleines, klares Wort zu sprechen, ein Wort ohne „doch“ und „aber“ und ohne Berufung auf den „Kontext“.

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Es gibt viele Versäumnisse in der Geschichte, Versäumnisse Kriege zu verhindern, Versäumnisse Frieden zu schließen, Versäumnisse zu handeln oder zuzuwarten, Versäumnisse zu reden oder zu schweigen. Ein solches Versäumnis gab es auch in den letzten Wochen: Das Versäumnis nämlich, ein einfaches, kleines, klares Wort zu sprechen, ein Wort ohne „doch“ und „aber“ und ohne Berufung auf den „Kontext“ – ein Wort gegen die Untaten, die Unmenschlichkeiten und die zynische Verachtung der Humanität durch die Schergen der Hamas.

Nicht den jüdischen Stimmen oblag es, dieses Wort zu sprechen, noch dem Staate Israel, sondern dem Gewissen der Welt. Dem Gewissen besonders jener, die die Fackel des Wissens und der Gerechtigkeit voraustragen, die Denkenden, Lehrenden, Schreibenden. Vor allem aber dem Gewissen jener, welche die Freiheit des palästinensischen Volkes auf dem Banner ihrer Rede tragen. Sie mögen auch weiterhin dieses Banner tragen. Doch ein schmales Wort, ein Wort ohne Relativierung der erschütternden Wahrheit, muss diesem Banner vorangehen: Dass dies nicht unsere Art des Widerstands sein darf, dass hier eine Grenze überschritten wurde.

Es wird demonstriert auf der ganzen Welt. Offene Briefe entstehen. Kundgebungen der Solidarität. Und doch hätte dieses kleine Wort aus den Stimmen jener, denen die Zukunft eines palästinensischen Staates am Herzen liegt, lauter gesprochen, weiter gerufen werden müssen, als jede Demonstration und jeder Marsch in den Farben Palästinas. Denn es wäre ein Wort gewesen gegen Hamas, ein Widerstand gegen die Menschenverachtung dieser Tyrannei, gegen die Verachtung der zivilen Bevölkerung in Gaza, gegen die Verachtung der eigenen Zukunft. Für dieses Wort ist es nun zu spät. Nun wütet ein Krieg, wo Stimmen, die richtigen Stimmen der Empörung, Hamas hätten zerstören können.

Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.

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