Tage der Störung

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Über die umstrittene Justiz-Reform in Israel und damit einhergehende Proteste.

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Über die umstrittene Justiz-Reform in Israel und damit einhergehende Proteste.

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Haifa, 18. Juli: Jom Ha-Schibusch, Tag der „Störung“. Hunderte Menschen demonstrieren gegen Netanjahus geplante Justizreform, die der Regierung willkürliche Handlungsfreiheit geben soll. Der Verkehr liegt lahm. Der Busfahrer meint gelassen: „Da geht’s nicht weiter. Ihr könnt entweder sitzen blieben oder demonstrieren gehen.“

Tel Aviv, 22. Juli: Großdemonstration auf dem Platz der Demokratie. Ein Menschenmeer, das beinahe seekrank macht. Eine Welle von Abertausenden wälzt sich den Kaplan Boulevard entlang. Überall israelische Fahnen, dazwischen palästinensische Flaggen, Regenbogenfahnen, Banner des Widerstands. Die Kundgebung beginnt mit der Hatikvah, dann Ansprachen gefolgt von Trommelschlägen, Hupen und dem Refrain „De-mo-kratia“. Ein in palästinensische Farben gehüllter Israeli sagt: „Israel lieben heißt, Kritik üben.“ Jemand hält ein Schild hoch: „1933“.

Tel Aviv, 23. Juli: Gegendemonstration auf dem Platz der Demokratie. Eine Menschenmasse strömt aus allen Richtungen her. Männer, Frauen, Kinder. Israelische Fahnen. Es sind national-orthodoxe Siedlerfamilien. Sie tragen Banner im Namen der „Reform“. Jemand hält ein Schild hoch: „Wir sind das auserwählte Volk.“

Jerusalem, 24. Juli: Tausende haben eine „Wallfahrt“ in die Hauptstadt gemacht, zu Fuß bei glühender Hitze, und Zelte vor der Knesset aufgebaut. Sie sind gekommen, um die Verabschiedung der „Reform“ zu verhindern. „Wenn ihr so regiert“, ruft jemand auf die Knesset zu, „dann werdet ihr kein Volk mehr haben.“ Am Nachmittag stimmen die Abgeordneten für die Abschaffung der sogenannten Angemessenheitsklausel. Die „Reform“ ist gelungen. Das Höchste Gericht wird die Regierung künftig nicht mehr auf angemessenes Regieren prüfen dürfen. Nicht 1933, aber ernst. Denn nun ist die Macht frei vom Maßhalten der Justiz und der Vernunft.

Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.

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