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Heilige sind unbequem

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Aus Beiträgen zur Zeitgeschichte, Briefen, Dokumenten und zahlreichen Interviews ließ. Reinhold Ib-lacker die Gestalt des Josef Mayr-Nusser wiedererstehen, des Mannes, der als Südtiroler zwangsweise und völkerrechtswidrig zur SS eingezogen wurde und am 4. Oktober 1944 den Eid verweigerte.

Nach der ersten Schrecksekunde begann die Todesmühle des Dritten Reichs: Mayr-Nusser kam in ein Straflager bei Danzig, dessen Insassen beim Herannahen der Russen in Richtung Dachau verfrachtet wurden. Am 24. Februar 1945 starb Mayr-Nusser um 6 Uhr morgens im Viehwaggon auf dem Bahnhof Erlangen. Todesursache: Hungerödem.

Das Wort liest sich leicht. Entsetzen packt den Leser erst beim Entziffern des Obduktionsbefundes. „Hochgradige Abmagerung und allgemeine Körperschwäche. Hungerödeme der Dünndarmschleimhaut und in der Niere. Wassersucht beider Unter-

schenkel. Eitriger Katarrh der Luftwege. Lungenentzündung. Ausgedehnte Brustfellverwachsungen. Lungenödem. Erweiterung der rechten Herzkammer. Dickdarmkatarrh. Magenkatarrh. Hirnödem."

Mayr-Nussers Name wurde aus dem Gedächtnis der Zeitgenossen verdrängt. Seine Kameraden von der (zwangsrekrutierten SS halten ihn heute noch für einen verantwortungslosen Irren. Sie hätten ja alle beim „Schwören" nur einen Finger gehoben und damit sei ja der ganze Eid ungültig gewesen ... Nein, sagt ein katholischer Jüngling aus Bozen, Mayr-Nusser hat falsch gehandelt. Er hätte (wörtlich!) „wie der heilige Petrus den Herrn verleugnen, weiterleben und viel Gutes tun müssen". Ja, sagt (immerhin) die engere Verwandtschaft und sagen die einstigen Kameraden aus der Katholischen Jugend, Mayr-Nusser hat richtig gehandelt, denn er folgte seinem Gewissen. Es sei ein Bekenntnis zum

Glauben gewesen, aber mit Politik habe das nichts zu tun gehabt...

Bis schließlich Senator Frjedl Volgger bezeugt: Ja, Mayr-Nussep. hatte sehr wohl und jahrelang Kontakt mit dem tirolischen und gesamteuropäischen Widerstand gegen Hitler.

Gewiß: kein Christ ist zum Martyrium verpflichtet. Aber man soll die wenigen, die zur letzten Konsequenz imstande sind, die wenigen, denen Gnade gegeben ist und deren innere Kraft ausreicht, nicht aus Opportuni-tätsgründen desavouieren. Denn sie allein rechtfertigen den Glauben an die Menschheit.

Heilige, freilich, sind unbequem. Und damit wäre wieder einmal das Stichwort gefallen. Ich bin für die Seligsprechung von Josef Mayr-Nusser. Man möge mir nicht anraten, doch einen Antrag zu stellen.

Nur eine innerkirchliche Gruppe vermag einen Seligsprechungsprozeß durchzuhalten und hier eröffnet sich ein großartiges Betätigungsfeld für die Katholische Jugend, die sich auf diese Weise Vorbilder und Ziele schaffen könnte. Ich kann mit Vorbildern aufwarten und Namen nennen: Jägerstätter, Kaiser Karl, Zess-ner-Spitzenberg, Mayr-Nusser und eine Legion Ungenannter, noch kaum Bekannter, die nicht bereit waren, mit den Wölfen zu heulen.

KEINEN EID AUF DIESEN FÜHRER. Josef Mayr-Nusser, ein Zeuge der Gewissensfreiheit in der NS-Zeit. Herausgegeben von Reinhold Iblak-ker. 168 Seiten. Tyrolia-Verlag, Innsbruck - Wien - München, 1979. öS 140,-.

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