7076073-1993_18_16.jpg
Digital In Arbeit

Ilona

Werbung
Werbung
Werbung

Leos Lösungsmittel dienten nicht der Mathematik, sondern dem Auf- und Abwaschwasser. Genau genommen, dem kommunalen Büro-Abfall.

So beseitigten „Leos Ladys", wie die türkischen und jugoslawischen Putzfrauen liebevoll genannt wurden, in den magistratischen Ämtern keine Atom-, spndern Kirschenkernreste und unter „Sondermüll" verstanden sie keine Spitals- und Schwermetallreste, sondern die klebrigen Marmeladenbrotreste in der Lohnverrechnung. Die Welt der eifrigen „Leo-Ladys", die auch achtlos hingeworfene Papiertaschentücher nicht länger als höchstens zwei Wochen auf dem Fußboden duldeten, schien in Ordnung zu sein. - Bis eines Tages Ilona aus Budapest zur Putztruppe stieß.

Genaugenommen stieß sich die kesse Ungarin zunächst an der penibel-sauberen Arbeit einiger anatoli-scher Kolleginnen, die sogar die Stehpulte abstaubten, um dann an der aufopferungsvollen Hingabe einer Mazedonierin, die sogar eine ausgebrannte Glühbirne austauschen wollte, nahezu völlig zu verzweifeln.

Wer die Ungarinnen kennt, der weiß, daß diese Frauen mit Paprika im Blut selten lange verzweifeln, sondern bald nach einem passenden Ausweg aus dem jeweiligen Dilemma suchen. So stieß Ilona diesmal nicht sich selbst am Fleiß der Kolleginnen, sondern auf eine rettende Idee. Ilona wischte statt des Bürostaubs den Schweiß von der Stirn, da konzentriertes Nachdenken den Kreislauf hebt und den Puls beschleunigt, und sagte entschlossen: „So geht das nicht weiter!"

Ab nun wies Ilona aus Budapest auch auch die sanfteste Aufforderung ihrer Kolleginnen („Du müssen ein wenig arbeiten!") brüsk ab und widmete sich und ihre ganze Phantasie nur mehr der Lösung. Und wer die Ungarinnen kennt, der weiß, daß diese Paprika-im-Blut-Frauen nicht nur selten verzweifeln, sondern daß sie auch über eine gehörige Portion Phantasie verfügen.

Eines Abends saß Ilona in ihrem kargen, nur mit TV-, Radio- und CD-Gerät ausgestatteten Untermietzimmer, und hörte gelangweilt der Fernsehsprecherin zu, die eben „aktuelle Kurz-Berichte" ankündigte. - Das war das Stichwort, die rettende Idee. Ilona schrie begeistert auf und sie wußte sofort, was zu tun sei (ansonsten wissen Ungarinnen immer, was andere zu tun haben).

„Genau, das machen wir...!, lachte Ilona laut und schon war ihr Plan - im Gegensatz zu ihr, nach der Arbeit -

fix und fertig.

Die Gruppenführerinnen der flinken „Leo-Ladys" waren mit kleinen Sprech- und Funkgeräten ausgestattet, um die Einsatzbereitschaft noch mehr zu verstärken. Und so kam Ilona die rettende Idee, ihre Kolleginnen mit „aktuellen Putz-Berichten" auf dem laufenden zu halten. Den Verkehrsnachrichten gleich versorgte die vife Ungarin ihre amtsstubenreinigenden Kolleginnen via Funk mit wichtigen und aktuellen Nachrichten wie diese:

„Achtung! Achtung! Im Hof links hat ein Hund hingemacht. Auf Regen warten!"

„Vorsicht! Im Zimmer des Amtsvorstehers sind die Aschenbecher randvoll. Statt ausleeren, Zettel mit ,Rauchen ist ungesund!' hinstellen!"

„Der Staub im Zimmer 22 im 23. Stock wird immer schlimmer. Möglichst nicht hingehen!" So und ähnlieh lauteten Ilonas „aktuelle Putz-Berichte", die genaugenommen mit putzen nicht sehr viel zu tun hatten. Aber wer die Ungarinnen kennt, der aber das erwähnten wir bereits. Ilonas Kurzdurchsagen würden jetzt noch Äther und Putzfrauenohren erreichen, wenn nicht eines Tages ein junger und deshalb noch tapferer Gemeindebediensteter beim Firmeninhaber Leo Nowatschek, so der vollständige Name des „Leo Ladys"-Chefs nicht nur sich aus dem vollends verstaubten Bürosessel, sondern auch Beschwerde erhoben hätte. Da Herr Nowatschek den Verlust des Gemeindeauftrags nicht riskieren wollte, ging er der Beschwerde und den für alle sichtlichen Staub-Spuren nach und entdeckte schließlich Ilonas Geheimnis.

Wer die Ungarinnen kennt, der weiß, wie schnell sie einen unliebsamen Arbeitsplatz verlassen können.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung