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Im Stall

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Als der jüdische Studienkollege Franz im Jahre 1945 plötzlich wieder vor uns stand, blieb uns, den aus Zuchthäusern und Gefängnissen lebend Heimgekehrten, sekundenlang das Herz stehen. Wir hatten ihn für tot gehalten. Wir wußten zwar, daß er sich anfangs bei Osttiroler Gesinnungsfreunden aufgehalten hatte, wußten aber auch, daß er später in Wien gesichtet worden, dann aber verschwunden war.

,,Wo bist du gewesen, Franz”, fragten wir. - „Die letzten Tage verbrachte ich unter einem Kohlenhaufen”, sagte er. - „Wie überlebt man unter einem Kohlenhaufen?” - „Ich weiß es nicht”, sagte Franz. „Als Maulwurf halt .. .”

An Franz mußte ich denken, als von Josef die Rede war. Josef lebte, wie uns die Sendung „Der Stall” zu berichten wußte, lange Zeit in einer Gruft, bis er schließlich den Weg zur „Hilfsstelle für Nichtarische Katholiken” fand. Diese Hilfsstelle arbeitete unter dem Spitz- und Tarnnamen „Stall”, denn sie hatte sich in der einstigen Kut-scherwohnurig und in den leerstehenden Garagen des Erzbischöflichen Palais verkrochen, und sie war nicht selten der letzte Unterschlupf der Verfolgten und Gejagten vor dem KZ.

Schwester Verena von der Caritas Socialis besorgte den „Außendienst”. Das sagt sich leichthin. Versteht einer heute noch, was sich dahinter verbirgt? Es bedeutete Herbeischleppen von Lebensmitteln, die in Klöstern gesammelt worden waren, Besuch bei den Todgeweihten. Einem ihrer Schützlinge ging die Schwester ins KZ nach - und sie kam wieder heraus! Denn immer wieder geschahen auch Wunder. „Hatten Sie nicht Angst, Schwester Verena?” -„Dazu hatte ich doch gar keine Zeit.”

Die Kirche hat im Stall von Bethlehem begonnen und in Krisenzeiten findet man sie denn auch nicht bei den Anbiederungsmeiern, sondern dort drunten. Im Stall.

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