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In Rom leben…

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Zugegeben, daß Ich nicht mehr weiß, warum ich hier Ibbe; denn ich schreibe ja über Wien, oder ich bin vielmehr, wenn ich schreibe, in Wien. Und zugegeben, daß ich hier keinen Einspänner, keinen großen Braunen, keinen Kapuziner trinke, sondem einen Capuccino, und daß die Wohnungen teuer sind, aber das Essen billiger ist, daß plötzlich alle Freunde Giulio oder Giorgio oder Luciano heißen, Oinevra, Marina, Alda. Zugegeben, daß man schon in einer anderen Sprache träumt aber angeblich bedeutet das gar nichts; man muß nämlich zählen können in einer anderen Sprache, eben das kann ich nicht ih kann nicht multiplizieren oder cüvidie-ren oder addieren, einfach die kleinsten Operationen auf italienisch, die werde ich nie erlernen. Zugegeben, daß hier das Leben ist, wie es überall 1st: Eines Tages wird jemand heiraten, jemand wird einen Lehrstuhl bekommen, jemand wird sich erhängen, in eine Nervenklinik kommen; es wird alles wie überall sein, kein Kolosseum, kein Kapital helfen darüber hinweg, und was also hilft einem dann hier zwar nicht hinweg, aber doch zu leben? Zugegeben, daß die

Leute hier auch nicht besser sind als anderswo, aber fünf Minuten auf der Straße und ein kleiner Anflug von Wahnsinn, eine Versuchung, das alles ganz aufzugeben, sind dann doch plötzlich abgewendet. Zugegeben, die Leute sind etwas schöner tmd sehr freundlich, aber man weiß ja, was dahinterstecket. Weiß man es aber wirklich? Man weiß doch gar nichts. Mir genügt es, daß die Leute nicht unfreundlich sind, sondem freundlicher sind. Zugegeben,- daß man hier aufhört, die Dinge allzu ernst zu nehmen; denn in 2500 Jahren ist viel Wasser den Tiber hinuntergelaufen, und das weiß hier wirklich jeder. Vor das Leben ist das Wort Pazdenza geschrieben, also Geduld, Geduld. Hier sind Krisen, Staatskrisen, private Krisen eher Kinderkrankheiten. Die Leute wissen schon, daß man einfach miteinander auskommen muß. Zugegeben, ich habe hier erlernt mit den anderen auszukonmien. Ich habe es wieder erlernt aber ich gebe auch zu, wenn die Tür zufällt zu dem Zimmer, in dem ich arbeite, dann gibt es keinen Zweifel: Denken ist solitär, Alleinsein ist eine gute Sache.

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