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Jedem sein eigener Franziskus?

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„Der heilige Franziskus in Gegenwart und Zukunft” war das Symposion-Thema im Juni in Stein/NÖ, von der Phil.-Theol. Hochschule St. Pölten und der Kulturverwaltung Krems veranstaltet. Im folgenden eines der Referate, stark gekürzt.

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„Der heilige Franziskus in Gegenwart und Zukunft” war das Symposion-Thema im Juni in Stein/NÖ, von der Phil.-Theol. Hochschule St. Pölten und der Kulturverwaltung Krems veranstaltet. Im folgenden eines der Referate, stark gekürzt.

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Es kann in der Kürze dieses Vortrags keine vollständige Antwort auf die Frage gegeben werden, ob die Versuche moderner Literaten, zum Verständnis des Franz von Assisi beizutragen, auch geglückt sind oder von vornherein scheitern mußten. Ich habe mich deshalb auf eine sehr begrenzte Auswahl aus der modernen Franziskus-Literatur beschränkt, auf Bücher, die im deutschen Sprachraum das aktuelle Franz-Büd beeinflussen: „Der letzte Christ—Franz von Assisi” von Adolf Holl, „Mein Franz von Assisi” des 1957 in Deutschland gestorbenen Griechen Nikos Kazantzakis und „Bruder Feuer” von der seit vielen Jahren in Italien lebenden Luise Rinser. Alle drei Schriftsteller versuchen, Gestalt und Leben des Franz von Assisi dem heutigen Leser verständlich zu machen. Dabei bleibt Holl am dichtesten an den historisch bezeugten Daten, während Rinder den Sprung über die zwischenliegenden Jahrhunderte vermeidet und statt dessen die Figur des Franz in den sozialen Kontext des heutigen Italien transponiert.

Während Franz in der Darstellung von Rinser selbst nicht in Erscheinung tritt, beherrscht er bei Holl wie auf einer Bühne die Szene. Franz als Schauspieler des Prinzips Armut? Holl: „Er (Franz) brauchte Zuschauer”. Der Franz, den Rinser wie in einem frommen Comic-Heft zeichnet, ist dem Schauspieler nicht ganz unähnlich, jedoch eher schon ein Superman, der alle auftauchenden Probleme mit unglaublichem Understatement zu lösen vermag. Für Kazantzakis ist „der

Heilige Franz das Urbild des kämpfenden Menschen”.

Ahnlich weit gehen die Erklärungen dieser Autoren zur Bekehrung des Franz auseinander. War sie die Frucht eines, plötzlichen Erlebnisses oder ist sie vielleicht aus familiären Einflüssen, ja aus dem Erbgut zu erklären? Holl kann auf die Hypothese von Mockler verweisen, wonach „Franzens Vater ein heimlicher Ketzer, ein Katharer gewesen sei”. Kazantzakis hingegen meint, den beherrschenden Einfluß des Erbgutes der aus Frankreich stammenden Mutter betonen zu müssen.

Von Anfang an sahen Biographen des Franz, so etwa bereits Thomas von Celano, im Bekehrungserlebnis eine Parallele zu Augustinus. Dementsprechend wird Franz vor seiner Bekehrung als lasterhafter Jüngling beschrieben. Das dürfte durch eine kritische historische Forschung leicht zu widerlegen sein, hindert aber etwa Rinser nicht, Franz erneut als „wilden Playboy” und „Liebhaber vieler Mädchen und Parties” darzustellen, der „von einem Tag auf den andern” sein Leben radikal änderte.

Auch was die Schilderung der Beweggründe und Ziele von Franz anbelangt, gehen die Darstellungen der Autoren weit auseinander. Holl möchte Franz nicht als Heiligen vorstellen. Nicht, daß Holl bezweifeln wollte, Franz sei ein Heiliger gewesen. Er meint vielmehr, daß „die Mehrzahl der Industriemenschen... mit dieser Bezeichnung nur noch vage und blasse Gefühle” verbinde. Holl nimmt also bemerkenswerte Rücksicht auf seine Leser. Aber was ist Franz dann? Vielleicht eine Art Heüiger des Klassenkampfes? Dies schon eher, hat er sich doch „von der kräftigsten Klasse der Epoche losgesagt” und dann auch noch „um jeden Satz seines Programms” gekämpft. Darum kann Holl ihn nicht als politisch enthaltsam bezeichnen.

Bei Rinser ist Franz der Gründer und Leiter einer Kommune, deren Ziele und Aufbau an die Bewegung von Longo Mai erinnert. Franz gleicht einem Entwicklungshelfer im eigenen Land Italien. Von seinen Leuten heißt es: „Sie bauen Staudämme und ter-rassieren das Land.” Aber Franz wollte eigentlich keine Kommune, sondern eine Kommunität, korrigiert Rinser später.

Franzens Gemeinschaft trägt dann aber wieder häufig Züge einer der heutigen Jugendsekten, wohin fünfzehnjährige Schüler ausreißen, wenn sie es zu Hause nicht mehr aushalten. Auch Gedanken des Zen (oder von Meister Eckehart?) dürfen da nicht fehlen. Franz über einen jugendlichen Gottsucher: „Der sucht Gott hier und dort und an allen Orten, und findet ihn nicht, und er hätte ihn hier beim Putzen finden können”. Auch Rinsers Franz trägt Züge jenes Exotischen, das auf die jungen Bürger unserer Tage faszinierend wirken mag. Uber seinen Sonnengesang heißt es: „Es war was Indisches: die Hindus haben auch so ein Gefühl, als sei alles eins”. Und von seiner Gemeinschaft hören wir: „... und außerdem sind bei uns auch andre Leute als Christen, wir haben einige Hindus und einen Mohammedaner und einige Atheisten, wie man sie nennen kann”.

Besonders Kazantzakis zeichnet seine Romanfigur deutlich als zweiten Jesus. Daß dabei nicht selten die Grenzen des Kitsches erreicht werden, ist geradezu unvermeidlich. Kazantzakis formuliert Anklänge an das Evangelium, füllt sie dann jedoch gelegentlich mit neuen Symbolen oder Zeichen ein: „Francesco nahm aus dem Herd eine Handvoll Asche und warf sie in die Suppe. Sogleich erkannten ihn die Brüder”.

Ahnliche Passagen kommen auch bei Rinser vor. Ihr scheint es eher um die Aktualisierung von Perikopen aus dem Evangelium denn der Legenden über Franz zu gehen. So läuft Franz nachts in müitärisches Sperrgebiet und überredet dort einen wacheschiebenden Berufssoldaten, ihm zu folgen: „Ich befehle dir im Namen dessen, auf den du getauft bist, die

Waffe niederzulegen. Gott ist ein Gott der Lebenden und der Liebenden, jetzt komm!”

Es scheint die Frage unerläßlich zu sein, welches Bild von Gott der Franz dieser Autoren hat. Kazantzakis' Gott ist ein archaischer Gott, mit dem der Mensch durch die Bilder der Elemente in Berührung kommen kann: Gott ist „wie ein Glas frisches Wasser”. Aber auch Feuer: „Ein Scheiterhaufen ist Gott... Er brennt, und wir brennen auf ihm”. Zu diesem Gott führt kein Weg. Es gibt nur den Abgrund, in den man springen muß, will man ihn finden. Der Gott Kazantzakis' ist also zugleich ein Gott der Erde, in deren Abgrund er lebt.

Franz — wie Rinser ihn zeichnet — sucht Gott in den gewöhnlichen Dingen und alltäglichen Verrichtungen. Ausdrücklich lehnt dieser Franz besondere Übungen zur Gottessuche ab. Rinsers Franz ist nicht so sehr ein Gottsucher, vielmehr ein Zeitgenosse, der konsequent in der Nachfolge Jesu steht. So wird denn auch in Rinsers Franz-Buch wenig von Gott, um so mehr jedoch von der Aktualisierung der jesuanischen Botschaft gesprochen.

In die gleiche Richtung, wenn auch ohne Verschiebung der historischen Perspektive, weist Holls Darstellung. Dennoch bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Jesusbildern von Rinser und Holl. Holl betont, daß Franzens Jesus „ein kirchlich vermittelter” ist und bleibt. Genau das aber ist er in Rinsers Darstellung mit Sicherheit nicht. Gerade die offiziellen Vertreter der Kirche haben es schwer, Rinsers Franz auch nur ansatzweise zu begreifen.

Franz von Assisi kann sich nicht mehr gegen seine Interpreten stellen. Doch darf man an seiner Statt zumindest skeptisch bleiben gegenüber dem, was heutige Inter-pretatoren aus ihm machen.

Der Autor ist Professor für Kirchenrecht in Nijmwegen/Niederlande, das Referat ist zum Teil einem Beitrag in CONCILIUM 1981 ent-_ nommen.

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