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Jetzt erst Zugpferd

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Sensationen sind im Kärntner St. Kanzian selten. Immerhin war aber diesmal etwas los: Dr. Schlein- zer hat auf seiner Wahlreise durch Österreich Station gemacht Im „Fichtenhof“ ist man gespannt, was der Kärntner Schleinzer seinen Landsleuten zu sagen hat Zum Empfang hat sich neben den ortsansässigen Parteigrößen auch ein kleines Mäderl eingefunden. Schleinzer steigt aus dem Wagen. Er lächelt nach links, er lächelt nach rechts. Stößt ein etwas älterer weiblicher Schleinzer-Fan offensichtlich das angetraute männliche Gegenstück in die Seite: „Da schau, wie er liab lacht!“ Ihr Partner zieht sich den Rock zurecht, überlegt eine Weile und meint dann: „Ja, daß er jetzt lacht, is guat Hoffentlich kann er dann am 10. Oktober auch lachen.“

Inzwischen hat sich Dr. Schleinzer gegen den „Fichtenhof“ vorgekämpft. Irgendwo im Gedränge steht das kleine Mädchen und murmelt das Begrüßungssprücheri vor sich hin. Hilfreiche Funktionärshände bringen die zwei zusammen — den Schleinzer und das kleine Mädchen. „Lieber Herr Dr. Schleinzer, ich be…“ Aus, vergessen das Sprücheri. Die Kleine setzt nochmals an: „Ich be…“ Es will ihr nicht mehr einfallen. Macht nichts, Schleinzer beugt sich zu ihr hinunter: „Ja, das ist nett, daß du mich so herzlich willkommen heißt.“ Im Gesicht des Mädchens spielt die Verzweiflung, sie ist den Tränen nahe. Flugs bekommt Schleinzer aus seinem Begleiterstab eine Tafel Schokolade zugeschoben, die er einstweilen hinter seinem Rücken hält. Der Gag, ansonsten nicht die Stärke dieses Politikers, gelingt. „Das ist für dich“, meint er zu seiner verdutzten Gesprächspartnerin und „zaubert“ die Schokolade hervor. Plötzlich lacht sie über das ganze Gesicht, macht ihren Knicks und verschwindet im Eilzugstempo.

Mit ähnlicher Geschwindigkeit strebt Dr. Schleinzer dem Rednerpult zu. Mit beschwörender Geste und geballten Fäusten führt er seinen Zuhörern vor Augen, daß die Volkspartei in diesem Wahlkampf auch einen Abwehrkampf gegen den totalen Machtmißbrauch der Sozialisten in Österreich führe: „Ich erinnere daran, daß diesen Wahlen eine ebensolche Bedeutung zukommt, wie den Entscheidungswahlen des Jahres 1945: Bei dieser Entscheidungswahl des 10. Oktober geht es darum, ob die Weichen der österreichischen Innenpolitik in Richtung einer möglicherweise längerdauernden sozialistischen Vorherrschaft gestellt werden oder ob durch eine Stärkung der Vokspartei ein neues Fundament für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit der politischen Kräfte in Österreich im Interesse aller Bevölkerungsschichten gelegt wird.“

Es ist mäuschenstill. Plötzlich taucht ein Zuhörer auf, der die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Er ist zwar kein „sozialistischer Spion auf Ortsebene“, aber ein ganz prominenter Nicht-ÖVPler: Der freiheitliche Abgeordnete Dr. Šerinei. Schleinzer, auf ihn aufmerksam geworden, geht in seiner Rede sofort darauf ein. Er spielt auf die Anwesenheit des freiheitlichen Arztes mit der Bemerkung an, die Sozialisten betrieben „eine Einschläferungstherapie der Wähler“. Der Arzt Šerinei lachte und honorierte so die Schlagfertigkeit seines Kärntner Abgeordnetenkollegen, während das Publikum begeistert klatschte. Auch ein großgewachsener Jungwähler, der wohlweislich seinen Nachbarn fragte: „Was hat er jetzt g’sagt?“

Nachdem Schleinzer das Rednerpult verlassen hat, geht Šerinei auf ihn zu, bittet ihn um ein Autogramm auf einer Schleinzer-Postkarte und gratuliert ihm zu seinem Abschneiden bei der TV-„Konfrontation“ mit seinem Widerpart Dr. Kreisky. Die anwesenden Fernsehleute hatten ihr „gefundenes Fressen“, die Versammlungsteilnehmer ein Gesprächsthema. „Was soll das? Will sich der Šerinei vom Peter lossagen?“ spekuliert ein älterer St. Kanzianer. Und schon ist eine heftige Diskussion im Gange, welche Rolle die Freiheitlichen jetzt spielen. Sicherlich ein ergiebiger Gesprächsstoff, doch die Wahlreise geht weiter…

Auf dem Wolfsburger Weiherplatz geht’s schon recht hoch her. Ein Platzkonzert der Stadtkapelle unterhält das Publikum, bis dann Schleinzer kommt. Der Lautsprecherwagen ist mit Schleinzer-Plaka- ten beklebt. „Der Braunton g’fallt mir besser als des Grün“, gibt ein Arbeiter im Schlosseranzug zu verstehen. Er ist eben von der Arbeit gekommen. „Ja, du mußt aber zu- geb’n, auf dem Bild ist er auch gut getroffn“, wendet der neben ihm stehende Herr, ein ehemaliger Eisenbahner ein und fährt fort: „Der Schleinzer war doch immer so farblos. So wie in der Femsehdiskussion hab ich ihn gar net gekannt.“ Ein weiterer Herr, scheinbar ein VP- Funktionär, weil er Propaganda- material unterm Arm trägt, mischt sich ein: „Seit Mittwoch“ — gemeint ist der Mittwoch, an dem die Fernsehdiskussion Kreisky-Schleinzer über die Bühne gegangen ist — „hat die Volkspartei einen Parteiobmann.“ Vielleicht war er sich seiner Aussage gar nicht bewußt, doch wurde die Diskussion hier abgebrochen. Keiner wollte die alte Wunde der Personaldebatte, die auch dem kleinen Funktionär zu Herzen gegangen ist, wieder auf reißen. „Jetzt haben wir einen Parteiobmann…“

Dieses Bewußtsein seiner Anhänger schlug Dr. Schleinzer auch bei seiner Begrüßung entgegen. Auf dem Weg zum Rednerpult schüttelte er die Hände im Spalier. Wessen Hände es waren, konnte nur ein Hellseher erkennen. Die Blumen, die er zum Empfang bekommen hatte, werden ebenso Stück für Stück an diese Hände verteilt.

Wieder steht ein kleines Kind vor Schleinzer. „Wie heißt du?“ „Ludwig.“ Lächelnd bekommt der kleine Ludwig Zuckerln in die Hand gedrückt. Die Mutter stolz zu ihrem Nachbarn: „Mein Bua hat eben vom Schleinzer Zuckerln kriagt.“ Hinten aus dem Spalier sagt eine alte Dame dem Wahlwerber „Vergelt’s’ Gott“ für die Blume und wünscht „Ihnen und Österreich alles, alles Gute“. Nebenbei gibt Schleinzer Autogramme, bittet junge Leute um ihre Stimme am 10. Oktober und tut so, als ob ihm Zeit keine Rolle spielte. Dafür faßt er sich am Rednerpult kurz: Jeder weiß, was er von der Volkspartei und von den Sozialisten zu erwarten hat. „Wir haben mit unseren ,107 Vorschlägen für Österreich’ ganz konkrete Vorstellungen von der Zukunft.“ Er, Schleinzer, verspricht, die Volkspartei will nicht an die Macht, sondern an die Arbeit. Schleinzer fordert die Zuhörer zum letzten Einsatz auf: „lįnser größter Gegner bei dieser Wahl ist die Gleichgültigkeit“ und diese müsse überwunden werden, wolle die Volkspartei ihr Wahlziel, wieder die erste Partei im Staate zu sein, erreichen. Und weiter geht es….

Schleinzer lächelt, ballt die Faust, warnt, beruhigt. Selbst wer ihn kennt, hätte nicht soviel Temperament erwartet. Und trotzdem: Der freundlichste Schleinzer, denn es je gab. Ob ihm aber das am Wahltag hilft?

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