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Keine Kränze, aber Bilder

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Zwar beklagten sich die Mimen zumindest bis zur Erfindung des Films, die Nachwelt flechte ihnen keine Kränze — doch viele von ihnen überlebten nicht nur in der Erinnerung jener, die sie noch auf der Bühne gesehen hatten, sondern auch im Bewußtsein der Nachwelt. Charlotte Wolter ist seit 1897 tot, Joseph Kainz staub 1910, Alexander Girardi 1918 — doch ihre Namen sind Legende geworden und im Bewußtsein jener, die sich für Theater interessierten, präsent. Und nicht die Interesselosigkeit der Nachwelt droht die Erinnerung an große Schauspieler von vorgestern und vorvorgestern auszulöschen, sondern schlicht das Vergessen.

Versuche, eben diesem abzuhelfen und den Staub von den Spuren ihres Daseins wegzublasen, pflegen ein bereitwilliges Publikum zu finden. Das jüngste Unternehmen dieser Art stammt von György Sebestyen, dem die Hebung eines — zumindest für Bungtheaterbesiucher — allgegen-wärtigen und trotzdem weithin unbeachteten, ja unibekannten Schatzes gelang. Es handelt sich um die sogenannte „Ehrengalerie“ des Bung-theaters, die in 200 Jahren angesammelten Sahauspielerporträts, zum größten Teil Gemälde, zum Teil aber auch Plastiken. Einiges davon hängt in den Foyers, vieles ist für die Theaterbesucher unzugänglich — in Büros und Depots.

Was man sonst in den Theaterpausen flüchtig oder, weil verborgen, überhaupt nicht zu Gesicht bekommt, wurde nun zum ersten Mal publiziert: „Burgtheatergalerie“ von György Sebestyen (148 Künstlerporträts der „Ehrentgalerie“ nach Aufnahmen von Csaba Tarcsay mit einer historisch-biographischen Dokumentation von Konrad Schrägendorfer, Edition Tusch, Wien, 160 Seiten, 24 mehr- und 124 einfarbige Porträts und zahlreiche Textabbildungen, öS 880,—).

Dieser bibliophil ausgestattete Band dokumentiert nicht nur 200 Jahre Burgtheater in den Porträts berühmter Schauspieler, er ist nicht nur zugleich der erste Gesamtkata-log der Samimilung, er ist auch kunsthistorisch sehr interessant. Den Bogen, der hier von den ersten Mimenporträts, die Joseph Hickel, der Hofmaler Kaiser Josephs II., auf Veranlassung des Kaisers schuf, bis au den Porträts eines Ernst Deutsch als Nathan von Georg Eisler, eines Hermann Thlmig (zufällig in dersel-

ben Lessinig-Rolle!) von Sergius Pauser und bis zur Buschbeck-Büste eines Wander Bertoni reicht, kann man auch als den Weg von den Problemen des Porträtierens zur Problematik des Porträts sehen.

Uber die Probleme des Porträtierens im allgemeinen und von Schauspielern im besonderen schreibt Sebestyen in seinem einleitenden Essay einleuchtende Sätze: „Wer oder was sollte hier erfaßt werden:

die Privatperson? die blendende und verblendende Bühnenerscheinung? der Schauspieler als Idol? der Schauspieler während der Probenarbeit, also gleichsam im Zustand der Verwandlung? oder die kostümierte Gestalt, die jedoch aus der Maske sozusagen privat herausbrach? Es war das Problem der Galerie, unlösbar und aufreizend, zwei Jahrhunderte

hindurch Maler wie Modelle gleichermaßen herausfordernd.“

Dies alles wurde in den Werken der „Ehrenigalerie“ versucht, und die Resultierende aus zwei Entwicklungen, der der bürgerlichen Porträtkunst und der sozialen Entwicklung des Schauspielerberufes, ist ein ewiges Hin und Her ohne Entscheidung, ob im Schauspielerporträt der Schauspieler als Bürger oder in seiner Rolle dargestellt werden soll. Schon

die Brüder Hickel steinten die einen (Steigentesch, Weißkertn) als gewöhnliche bessere Herren ihrer Zeit, die anderen (Katharina Jaqtuet, Marie Henriette Stierte) in dramatischer Bühnenpose dar (die Porträtierung des ersten Burgtheaterddrek-tors mit gezücktem Degen und beifallheischend zur Hofloge erhobenem Blick ist wohl eher eine Prophezeiung!). Diese Ambivalenz, hier

Porträt in der Rolle, da als Arrivierter, charakterisiert die soziale Situation des Schauspielers im späten 18. Jahrhundert. Er hatte die gesellschaftliche Emanzipation geschafft, verdankte sie aber nicht seinen professionellen Leistungen in der Schauspielkunst, sondern einem Strukturwandel des Berufes, der nicht zuletzt im Rollenwechsel von Stegreif und Hanswurstiade zur „seriösen“ Minna, zum „seriösen“ Hamlet zum Ausdruck kam.

Konrad Schrögendorfer, Dramaturg und Archivar am Burgtheater, sorgte für die zeitgenössischen Urteile über die dangestellten Schauspieler, die den Porträts beigegeben sind und die Ahnengalerie eigentlich erst zum Leben erwecken Seine „historischen Bemerkungen zur Porträtgalerie“ stellen vor allem die zu

deren Verständnis notwendigen Beziehungen zur bürgerlichen Porträtkunst des vorigen Jahrhunderts und den hinter ihr stehenden emanzipa-torisohen Kämpfen her, und es ist kein Zufall, wenn die Porträts der Schauspieler, deren Eintrittskarte in die unteren Ränge der bürgerlichen Gesellschaft noch frisch war, in ihren Porträts ein bürgerliches Selbst-verständnis zur Schau tragen. Vor 50

Jahren muß das noch deutlich zu spüren gewesen sein, denn Hugo von Hofmannsthal schrieb 1926 (Schrögendorfer zitiert ihn): „Diese Schauspieler spielten nicht sich selbst, aber sie spielten auch nicht nur ihre Rolle. Zugleich mit den Rollen spielten sie ihre eigene Situation in dieser Stadt,- die eine einzigartige, vollkommen soheinlhafte und dabei großartige war. In einer Stadt, in der alles auf gesellschaftlichen Stufungen beruhte, spielten sie, indem sie sich selbst repräsentierten, die sonderbarste und dabei wirklichste Gesellschaftskomödie, zu welcher der Text von Bauernifeld oder Aiu-gier nur der Vorwand war. Es war das raffinierteste Theater auf dem Theater und zugleich die vollkommenste Balance zwischen schauspielerischen Kräften, die man sich denken kann.“

Die von Hofmannsthal erwähnten gesellschaftlichen Stufungen gab es aber auch innerhalb des Theaters, und Genres, die dem Burgtlheater heute sehr am Herzen liegen, hatten damals noch auf ihre Anerkennung durdh das Burgtheater zu warten. So gibt es in der Burgtheatergalerie zwar ein Bild von Alexander Girardi, als Fortunat Wurzel im „Bauer als Millionär“, aber dieses Bild wurde 50 Jahre nach dem Tod Girardis, 1968, von Carry Hauser gemalt. Zu Lebzeiten Girardis war keine Zeit mehr für ein Porträt unter Burgtheaterauspizien, denn der große Volksscbauspieler wurde, eben weil er ein solcher war, erst mit 68 Jahren in das Ensemble aufgenommen und starb im selben Jahr.

Unter den Malern der Galerie sind einige der bedeutendsten, die Österreich hervorgebracht hat. Es gibt Porträts von Waidimüller und von Makart (Bildnis Johanna Buska), dessen Könnerschaft in Skizzen und Porträts sehr viel deutlicher erkennbar wird als in den berühmt-berüchtigten Schinken. Und von vielen anderen. Vor allem die Porträtkunst des Biedermeier ist hier hervorragend dokumentiert.

Von den Problemen des Porträtierens zur Problematik des Porträts: Photographie und Film haben dem Porträt seine ursprüngliche und primäre Funktion als Dokumentation und Gedächtnisstütze genommen und es unbarmherzig dazu verurteilt, zu interpretieren. Nur die Vision, der Blick hinter die Kulissen auch des Gesichtes, führt noch zu einem Porträt, das über das Repräsentative hinaus Existenzberechtigung hat.

Eines der ergreifendsten, schlichtesten, heitersten und zugleich leidendsten Abbilder des menschlichen Antlitzes in dieser Galerie stammt zwar von Wander Bertoni, ist aber kein Kunstwerk im engeren Sinne, sondern die Totenmaske eines der Größten, die das Bungtheater hatte: Alfoin Skoda.

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