Mächtiger noch als die Kernenergie ist die Vorstellungskraft des Menschen. Denn sie ist es ja, welche die Natur über deren eigene Schwelle in neue Wirklichkeiten hineinjagt, Physikalisches, Stoffliches und Psychisches zu bisher nie dagewesenen Mustern verschränkt. Als Hauptakteurin in den Gehirnen der Erfinder und Forscher manövriert sie die Menschheit in ihre derzeitige Lage.
Ist das Wissen nicht von der Phantasie bereits gefährlich überfordert? Diese Sorge wird von der Technik ebenso gern vertuscht wie von den Literaten aufgedeckt. Hier also sechs Erzählungen aus dem technischen Zeitalter, dessen apokalyptische Züge aber nicht in monströsen Breitbandbildern, sondern in intimen Psychogrammen aus verschiedenen Lebensbereichen dargestellt werden.
So etwa, wenn Frau Gertrud Stein und ihre Gefährtin Vera ein Paar abgeben, im wahren Sinn des Wortes prototypisch, wobei Gertrud das Leben und Vera den Tod in sich tragen. Zwischen beiden steht der fünfjährige Michael.
Ein Ton der Klage wird hier angestimmt, Klage ohne Monotonie. Ganz im Gegenteil! Sie schärft das Bewußtsein für alles Beklagenswerte, in dem wir dahinleben.
DAS BUCH DER KLAGEN. Von Jürg Lae- derach. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main. 1980.280 Seiten, öS 215,60.