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Kulinarische Sozialmythologie

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Wenn eine Bühne den achtzigsten Geburtstag des Bert Brecht mit einer Neustudierung der „Dreigroschenoper“ begeht, dann bedeutet das auch eine Entscheidung für nobles Konsumtheater und gegen unbequeme Moralisierung. Im Fall der Grazer Vereinigten Bühnen, von deren Schauspiel hier die Rede ist, gut dies ja durchaus für die allgemeine Linie: gepflegtes Theater mit manchmal erstaunlich hohem Niveau unter fast völliger Vermeidung von Provokation und sorgfältiger Umgehung des Experiments. Das ist die nun seit fünf Jahren zum finanziellen Wohl der Theatererhalter und zur Freude des Kulturkonsumenten eingehaltene Richtschnur der Intendanz Nemeth und der Schauspieldirektion Hauer.

Die Brecht-Inszenierungen der letzten Jahre („Kreidekreis“ und „Courage“ in abgerundeter, alles Eckige vermeidender Konservierung) finden in dieser neuen „Dreigroschenoper“ zur Geburtstagfeier ihre Ergänzung: mit der Wahl dieser amüsanten, fröhlichzynischen Song-Potpourris bekennt sich die Theaterleitung zur Perpetu-ierung des bürgerlichen Mißverständnisses der von ihrem Autor doch ernst gemeinten Provokation. Durch die Inszenierung Peter Lotschaks wird der ganze Abend vollends in den Bereich der mit Evergreens dekorierten, leicht sentimentalen Nostalgie verbannt. Kaum also die Spur eines Anrufs, kaum der Hauch einer Kritik, trotz zeitweüig greller Kühle in den Songs: - alles in dieser Inszenierung ist dazu angetan, die „Affirmation der Uberalistischen Mentalität“ (Mennemeier) durch die zusehenden Bürger zu verstärken. Die „Top-hat“-Atmo-sphäre der Revue-FUme der frühen dreißiger Jahre, in denen sich ein Teü der Szenen bewegt und die nur durch die herbe Schlichtheit der Dekorationen Fercionis kontrastiert wird, trägt das ihrige zur unverbindlichen Rezeption dieser ziemlich gesichtslosen Retrospektive bei. Blendend ist der unter Wolf gang Bozic stehende musikalische Teü; aber auch er kann nicht verhindern, daß die zweite Hälfte der Aufführung in amateurhafter Leisetrete-rei versandete. Und das trotz Petra Fahrnländer (Polly) und Peter Uray (Mackie Messer), die auch in einem schlüssigeren Regiekonzept bestehen könnten.

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