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Launische Präpositionen

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Präpositionen (Vorwörter) erweisen sich im Verhältnis - sie werden auch Verhältniswörter genannt - zu dem Kasus, mit dem sie verbunden sind, als oft recht unzuverlässige Partner. Noch zu meiner Schulzeit hätte man es als groben Fehler angestrichen, wenn man „trotz" nicht mit dem 3. Fall verbunden hätte. Heute ist in den maßgebenden Wörterbüchern (mit wenigen Ausnahmen, unter anderem im Plural) nur noch der 2. Fall zulässig, obwohl man nach wie vor „trotzdem" sagt.

Die Sprache ist etwas Lebendiges, sie bleibt nicht stehen, sie „entwickelt" sich. Dennoch wird manchmal - zumeist in Funk und Presse - solcher Entwicklung willkürlich vorgegriffen. Ein Beispiel ist die Präposition „entgegen".

Schon das mittelhochdeutsche „engegen(e)" verbindet sich mit dem Dativ, und auch in den jüngsten Ausgaben der Wörterbücher (Duden von 1991) ist nur dieser Kasus angegeben. Sprachempfindlichen Ohren tut es weh, wenn man in letzter Zeit feststellen muß, daß „entgegen" mit dem Genitiv verbunden wird. Einige Beispiele: „.. .entgegen früherer Streiks" (FS 2, 18. Juli 1989), „entgegen anfänglicher Meldungen..." (Bayerisches Fernsehen, 26. Juli 1989), „...entgegen ihrer Zusagen..." (ARD, 21. Dezember 1992), „...entgegen aller Vorhersagen" (Bayerisches Fernsehen, 21. Dezember 1992), „...entgegen gestriger Ankündigungen" (Bayerisches Fernsehen, 26. Dezember 1992), „...entgegen der Gepflogenheiten ..." (Oberösterreich heute, 9. Jänner 1993).

Da bleiben die Zeitungsschreiber nicht zurück, die dem „entgegen", allem grammatischen Herkommen trotzend, die Krone des Genitivs aufsetzen: „...entgegen anderslautender Interpretationen..." (Oberösterreichische Nachrichten, 9. Jänner 1989); „entgegen der Beteuerungen des Kremlchefs..." (Salzburger Nachrichten, 24. Jänner 1991); „...entgegen mehrerer seiner Vorgänger..." (Oberösterreichische Nachrichten, 16. Mai 1992); „...entgegen des Verdachtes der Anwälte..." (Salzburger Nachrichten, 24. Jänner 1993).

In den Einzahlformen weiblicher Substantiva läßt sich die Neigung zum Genitiv nicht erkennen, weil in solchen Fällen Genitiv und Dativ gleichlauten, etwa: entgegen dieser Tatsache, entgegen dieser Meinung, entgegen dieser Absicht und so weiter.

Wie hat Goethe sein Gedicht „Rastlose Liebe" begonnen?: „Dem Schnee, dem Regen,/Dem Wind entgegen..." Hier sieht man, daß „entgegen" auch nachgestellt werden kann, wie ebenso etwa in Redewendungen wie „dem Befehl entgegen", „seinen Pflichten entgegen", „üblichen Gewohnheiten entgegen". Bei Zusammensetzungen mit Verben wird gleichfalls die Nachstellung bevorzugt, zum Beispiel: entgegensetzen, entgegenstellen, entgegenkommen, entgegenhalten.

Die Neigung zum Genitiv ist auch bei anderen Präpositionen feststellbar, etwa bei „wider" (der Regel nach mit dem 4. Fall zu verbinden): Dennoch liest beziehungsweise hört man: „...wider besseren Wissens..." (Die Presse, 24. Jänner 1991) oder bei „gemäß": „.. .gemäß des Aufbau-planes..." (FS 2,2. Jänner 1986).

Auch bei anderen Präpositionen sind Kasusänderungen dieser Art zu beobachten.

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