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List und Leim?

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Wie zur Gründerzeit des Gemeinsamen Marktes vor siebzehn Jahren, vidrd heute, nach den deutsch-italienischen Verhandlungen in Beilagio, Europa besungen. Als wäre es bereits eine politische und ökonomische Realität. Im Zweimillionen-Dollar-Dar- lehen der Bundesrepublik an das zahlungsschwache Italien sehen die italienischen Kommentatoren einen Sieg Europas und den Beweis der kontinentalen Solidarität. Nun können die europäischen Länder im Konzert der Nationen geschlossen auftreten und vieleicht sogar der deflationistisch-isolationistischen Politik des neuen amerikanischen Präsidenten die Stirne bieten, meint eine prominente Stimme. Wenig fehlt, um Beilagio als einen Markstein auf dem Weg zur Schaffung der USE (United States of Europe) zu feiern.

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Wie zur Gründerzeit des Gemeinsamen Marktes vor siebzehn Jahren, vidrd heute, nach den deutsch-italienischen Verhandlungen in Beilagio, Europa besungen. Als wäre es bereits eine politische und ökonomische Realität. Im Zweimillionen-Dollar-Dar- lehen der Bundesrepublik an das zahlungsschwache Italien sehen die italienischen Kommentatoren einen Sieg Europas und den Beweis der kontinentalen Solidarität. Nun können die europäischen Länder im Konzert der Nationen geschlossen auftreten und vieleicht sogar der deflationistisch-isolationistischen Politik des neuen amerikanischen Präsidenten die Stirne bieten, meint eine prominente Stimme. Wenig fehlt, um Beilagio als einen Markstein auf dem Weg zur Schaffung der USE (United States of Europe) zu feiern.

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Mögen die Herzen nach dem Treffen am Comersee zwischen Bundeskanzler Schmidt und Ministerpräsident Buinor höher schlagen, so ge-mahnt doch die Vernunft zur Vorsicht. Die Begegnung lebte von Vor- schußloiheeren. Ob sich die hohen Erwartungen erfüllen werden, ist sehr zweifelhaft. Angesichts einer schwer angeschlagenen Wirtschaftslage und einer schlecht funktionierenden Staatsverwaltung dürfte Italien die Rückzahlung des 2-Milliar- den-Darlehens innerhalb zweier Jahre größte Mühe bereiten und es wird aller Voraussicht nach vor dem Jahresende 1976 ein Fünftel seiner Goldreserven der Bundesrepublik abtreten müssen. Colombos und Rumors Vorgehen in Bonn und Beilagio erinnert zu sehr an all die Spekulanten, die beste Absichten haben, einen erhaltenen Kapitalbetrag wegen der beträchtlichen Zinslast in nützlicher Frist zurückzuerstatten, am Stichtag dann aber außerstande sind, die abgegebenen Versprechen zu erfüllen.

Die bange Frage drängt sich auf.

ob die deutschen Geldgeber, allen bitteren Erfahrungen zum Trotz, nicht einmal mehr itaUenisoher List auf den Leim gegangen sind. Allerdings blieb ihnen angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen Europas und der eigenen Exportinteressen nicht viel anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und mit einer Hoffnung zu leben, die auch die Italiener beseelt, aus der sie aber mit ihrem verschiedenen Naturell, im Bewußtsein, daß sie gar nie untergeben können und stets einen Fürbitter oder Rettungsanker finden, etwas völlig anderes machen. Ist das Ergebnis von Bel- lagio nicht einmal mehr der Beweis für die deutsche Haßliebe zu Italien, dem Land, wo nach des Dichters Wort die Zitronen blühen, es sich leichter leben läßt und der Nordländer sein anderes Ich entdeckt, wo er aber von der harten Realität nur aUzu leicht eines besseren belehrt wird?

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