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Musik zum Fressen

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Wenn man zum Essen eine har- monische Beziehung hat und Mu- sik zum Fressen gern, soll man nicht beides zugleich konsumieren. Was die beiden Genüsse verbindet, nämlich, daß es Kunstgenüsse sind, verlangt die Trennung. Nacheinan- der genossen, passen Musik und Essen gut zusammen - vorausge- setzt, man hatte sich nicht zuerst mit dem einen oder anderen zu voll gestopft; zusammen passen sie nicht.

Zu einem Steak gehören als Bei- lage zum Beispiel Champignons, aber nicht ein Violin-Solo; Mozart wird durch Knoblauch, Basilikum oder Sahnesauce nicht veredelt. Vivaldi zur Tomatensuppe zu ser- vieren hat nur in einem Fall Sinn: wenn zumindest eins von beiden verpfuscht ist. Zum Ablenken und vertuschen. Dies ist vielleicht die Erklärung für die ewige unerträg- liche Hintergrundmusik in den Restaurants.

In Konzertsälen werden in der Regel keine Menüs angeboten, aus guten Gründen. Wer beim Dinieren

einer Symphonie zuhört, widmet nicht genug Aufmerksamkeit dem Essen. Abgesehen davon, daß da- durch das für die Entenbrust in Orangensauce ausgegebene Geld vergeudet wird, kann dies auch zu Magenverstimmungen führen. Es könnte auch passieren, daß der Anblick der Zitrone, mit der der Herr in der ersten Reihe seine Fo- relle auf Müllerin Art betropft, die Sängerin zum Verstummen oder den Posaunisten plötzlich zu einem hohen C zwingt. (Zitronen haben wegen ihres hohen Inhalts von Vi- tamin C manchmal solche Wir- kung.)

Gegen eine Konzerteinlage vor oder nach dem Essen ist nichts einzuwenden, sofern die Bedienung während der, Darbietung nicht hin und her läuft, mit dem Geschirr rasselt und laut an der Bar Espres- so bestellt, was die Maschine zi- schen läßt.

Vielleicht spielt die Musik in den Gaststätten aus Gründen der Dis- kretion - damit man nicht hören kann, was am Nebentisch gespro- chen wird. Man kennt das aus Spio- nagefilmen: Das Radio wird laut aufgedreht, wenn man die Abhör- geräte überlisten will.

Heute, da die Musik aus der Konserve jedem zugänglich ist, und - im Unterschied zum Essen aus der Konserve - von bester Qualität, kann man sich eine CD auflegen, wenn man zu Hause in Ruhe ganz allein speist. Aber auch das ist nicht das Wahre. Allein die Bewegungen der Kaumuskeln, so lautlos sie auch sind, berauben den Essenden um manche Finessen des Konzerts. Kurzum - Musik stört immer die Harmonie des Essens und das Es- sen den Geschmack der Musik. Wer die Kochkunst und die Kunst der Töne zugleich genießen will, ist kein Liebhaber von beiden, kein Fein- schmecker und kein Genießer.

Ein Gläschen Wein oder Cognac stört dagegen beim Zuhören nicht - wenn man es vorher gefüllt hat.

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