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Pathos

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Der große Platz vor der Militärakademie in Wiener Neustadt verschluckte sie fast, die 29 Leutnants, die am Sonntag ihren goldenen Offiziersstern erhielten. Weniger waren es nur im vergangenen Jahr gewesen, nämlich ihrer 25. In den sechziger Jahren standen die auszumusternden Leutnants noch in Doppelreihe vor der alten Babenberger-burg.

Warum ist der Offiziersberuf in ein derartiges Tief geraten? Als die genannten Jahrgänge vor der Berufswahl standen, schrieb man 1970 und 1971. Die sozialistische Partei war mit dem Slogan in die Wahlauseinandersetzung gegangen: „Sechs Monate Wehrdienst sind genug.“ Die Unsicherheit, ob das Heer diesen Einschnitt überwinden werde, hat bei vielen sicherlich die Berufswahl zum Offizier negativ entschieden. Dazu kamen noch andere Momente. So herrschte am Beginn der siebziger Jahre eine überhitzte Hochkonjunktur. Die Wirtschaft zahlte, verglichen mit dem Staatsdienst, unverhältnismäßig hohe Gehälter. Schließlich war das Heer, auch ohne den sozialistischen Wahlslogan, in eine tiefe innere Krise geraten.

Heuer beginnen 139 Offiziersanwärter die dreijährige Ausbildung in Wiener Neustadt. Dies ist die höchste Zahl seit 1958. So stellt sich die Frage nach den geänderten Motiven. Eine vergleichbare Rolle spielt gewiß die Konjunktur. Die wirtschaftliche Unsicherheit macht die Entscheidung für den sicheren Staatsdienst leichter. Dazu kommt eine starke Verbesserung der Anfangsgehälter im Staatsdienst. Ein junger Militärakademiker erhält bei freier Uniform und freiem Quartier fast 7000 Schillig netto. Schließlich hat man die Ausbildung in Neustadt attraktiver gemacht und die Werbung für den Offiziersberuf gesteigert. Alles Maßnahmen, die einen kurzfristigen Erfolg garantieren. Genügt das aber, um die Nachwuchssorgen im Bundesheer für lange Zeit zu verdrängen?

Der Stil, mit dem man die Leutnants in ihre nicht einfache Zukunft entließ, war ein kalter Schlag auf alle Bemühungen, diesen Beruf zeitgemäßer zu machen. Man zelebrierte die Ausmusterungsfeier, als hätte man sich in der Heeresreform nicht entschieden, das Heer von seinem Formalballast zu befreien. In den Festreden ging man frohgemut an den anstehenden Problemen vorbei und verweilte lieber beim Pathos eines Soldatenbildes der Vergangenheit. Die Ansicht, der Soldatenberuf sei etwas besonderes, ein Beruf „sui generis“, feierte fröhliche Urständ. Die gesellschaftliche Entwicklung geht aber in eine andere Richtung. Der Offiziersberuf spricht damit, auf längere Sicht, nicht den Mehrheitstyp der Gesellschaft, sondern den Antityp an. Man wählt damit aus einem immer kleiner werdenden Kreis aus und steht wahrscheinlich bereits beim nächsten Konjunkturaufschwung vor den gleichen Nachwuchssorgen wie bisher.

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