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Pogrome beginnen im Kopf

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Es begann vor einem Jahr in Hoyerswerda, dann kam Rostock, und in Cottbus gingen die ausländerfeindlichen Ausschreitungen weiter. Gründe gibt es genug: Eine schlampige Ausländerpolitik; eine Bevölkerung, der Völkerfreundschaft aufgezwungen wurde und die es nicht gelernt hat, Konflikte in offener Auseinandersetzung gewaltlos zu bewältigen; Arbeitslosigkeit, die, vor allem bei jungen Leuten, Zukunftsängste und Aggression wachsen lassen.

Gerade die Ausschreitungen in Rostock haben aber auch gezeigt, daß der Ausländerhaß auch ohne Ausländer funktioniert. So wie es auch einen Antisemitismus ohne Juden gibt. Die rechtsextremen Jugendlichen tobten ihre Wut an dem Asylantenheim noch aus, als dieses schon längst geräumt war.

Vor einem Jahr, nach den aufrüttelnden Vorgängen in Hoyerswerda, hielt der FDP-Abgeordnate Burkhard Hirsch im deutschen Bundestag eine aufsehenerregende Rede, die leider nichts an Aktualität eingebüßt hat: Es geht um die Mitschuld der Politiker am Fremdenhaß.

Hoyerswerda wurde „ausländerfrei" gemacht. Das Asylantenheim in Rostock wurde unter dem Druck des Terrors der Straße geräumt. Wird „ausländerfrei" bald mit rechtsfreiem Raum gleichzusetzen sein? Burkhard Hirsch versuchte dem Phänomen

auf den Grund zu gehen: mit der Erkenntnis, daß Pogrome im Kopf beginnen, daß sie mit einer bestimmten Sprache vorbereitet werden. Dazu gehören die Ausdrücke „Asylantenflut", „Asylantenströme" „Dämme gegen Asylanten", „Springflut", „Zeitbombe". Weil es sich hier um sprachliche Bilder handelt, „in denen eine Entfremdung gegenüber Flüchtlingen, ihre Entmenschlichung nicht nur zum Ausdruck kommt, sondern mit denen diese auch geschaffen werden".

Die feindselige Stimmung gegenüber Ausländern wird durch ungelöste politische Probleme geschürt, und die Politik macht sich mitschuldig, wenn sie versucht, sich die latente Angst vor dem Fremden zunutze zu machen, um politische Auseinandersetzungen auf dem Rücken von Minderheiten auszutragen.

Caritas-Präsident Helmut Schüller hat jüngst erklärt, er fühle sich in Österreich von der Politik im Stich gelassen. Wie fast alles wird auch die Flüchtlingsfrage bei uns personalisiert. So als ob es um einen Streit zwischen dem Caritas-Präsidenten und dem Innenminister ginge. Laut Schüller hat das Problem aber Dimensionen erreicht, die es zu einer Regierungsangelegenheit, ja zur „Chefsache" machen. Die Regierung aber hat andere Sorgen. Wichtigere?

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