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Politische Fürsorgeanstalt

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Die Grünen sitzen also im Parlament. Das allein ist schon ein historisches Ereignis, an dem es nichts zu deuteln gibt. Gerade in dieser historischen Situation, in der keine Wende gelang, wohl aber die Artikulation von diffusem Unbehagen mit reaktionären Folgen, ist eine neue Oppositionskraft von entscheidender Bedeutung.

Es stimmt nicht, daß nun die Grünen und die FPÖ Oppositionsparteien sind. Die Grünen fragen nach den Schuldigen, wollen aufdecken und Breschen für mehr Selbstbestimmung schlagen. Die andere Opposition ist die populi-stisch-verschleiernde, die mit der Mobilisierung latenter Feindbilder arbeitet.

Opposition ist also nicht Opposition, und deshalb sind die Grünen mit der hohen Erwartung konfrontiert, zur politischen Fürsorgeanstalt dieses Landes zu werden. '

Die Latte liegt hoch, doch sie ist erfüllbar, weil die grüne Bewegung einig ist wie nie zuvor, weil nun neue Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung stehen, auch weil die Krisenerscheinungen zahlreich sind wie nie zuvor. Das sind günstige Voraussetzungen für kompetente und gleichwohl bissige Politik.

Die politischen Schwerpunkte der Grünen liegen zunächst und kurzfristig im Umwelt- und Demokratiebereich. Ein Paket an Initiativanträgen zur Waldrettung, zur Energiewende und zu einer • neuen Verkehrspolitik liegt bereit, ebenso Forderungen nach mehr Demokratie, nach Reduzierung der Parteienförderung und Beseitigung aller Privilegien.

Wir wollen Fronten klären und Konflikte aufzeigen. Und bald wird sich weisen, wer ernsthaft den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft will, wer sich für Gerechtigkeit und Privilegienabbau auch dann einsetzt, wenn's an das eigene Fleisch geht.

Mittelfristig arbeiten wir an einem Bündel von Maßnahmen für eine öko-soziale Wirtschafts- und Steuerpolitik.

Die eigentliche Stärke der Grünen ist ihr Rückhalt in den sozialen Bewegungen und Bürgerinitiativen. Diese können nun rechtlich, finanziell und organisatorisch gefördert werden, damit die alleinige Konzentration auf parlamentarische Arbeit gebannt wird. Das Modell eines „ÖkoFonds“ wurde bereits beschlossen.

Es gibt also viel zu tun für diese neue Bewegung, auf der sachlichen Ebene ebenso wie bei einem neuen Stil im Umgang mit Konflikten und Verdrängtem.

Der diffusen, fast ungewollten Wende, die so typisch dem Obrigkeitsstaat Österreich entspricht, muß politisch und nicht scheinheilig-taktisch entgegengearbeitet werden. Und das ist eine Aufgabe für ganz Österreich, für unsere Zukunft, für unseren Ruf im Ausland.

Deshalb sind Initiativen zur ernsthaften Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, zur Bekämpfung von wuchernder Intoleranz gegenüber Außenseitern und Minderheiten unumgänglich. Die Grünen werden da mit einigen Überraschungen aufwarten.

Die Aufgabe ist also groß und faszinierend, doch sie ist bewältigbar. Balance ist jetzt gefragt: zwischen Parlament und außerparlamentarischer Arbeit, zwischen Pragmatismus und bissiger Attacke, zwischen überfordernden Heilsansprüchen und billiger Selbstzufriedenheit.

Der Autor, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler, ist Programm-Koordinator der Grünen.

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