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Psalmen in neuem Klang

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Alisa Stadlers Version der Psalmen hat mehr Sprachkraft als manche der gängigen Ubersetzungen (der „Einheitsübersetzung“ etwa). Offensichtlich bedürfen Texte wie die Psalmen, gerade damit die Allgemeingültigkeit ihrer Sprache zum Klingen kommt, immer eines gewissen subjektiven Tonfalls.

Alisa Stadler hat in ihrer Uber-tragung aber auch Akzente gesetzt, die nicht nur sprachlich, sondern auch theologisch aufhorchen lassen. Psalm 22 („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“) heißt bei Alisa Stadler: „Herr, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Die scheinbar geringfügige Nuance macht von vornherein deutlich, wie sehr gerade auch dieser Psalm (den Jesus bekanntlich auf dem Höhepunkt seines Leidens gebetet hat) ein Gebet des vertrauenden Glaubens ist.

Oder Psalm 95,7 (in der geläufigen Fassung: „Denn er ist unser Gott, wir sind das Volk seiner Weide, die Herde, von seiner Hand geführt. Ach, würdet ihr doch heute auf seine Stimme hören!“) wird zum eindringlichen Appell: „Denn Er ist unser Gott und wir Sein Volk, die Schafe Seiner Weide, heute noch, wenn ihr auf Seine Stimme hört.“ In Psalm 114 schlägt Stadler Töne an, die mehr bei Franz von Assisi zu finden sind. „Die Berge tanzten wie die Widder, die Hügel wie die Lämmer.“ — In der Einheitsübersetzung, auch bei Martin Buber, „hüpfen“ die Berge.

Schalom Ben-Chorin vergleicht in seinem Vorwort Alisa Stadler mit Mirjam, der Schwester des Mose, die das Lied am Schilfmeer sang, sie gleicht jedoch auch — und zwar gerade als Frau — dem Hausvater des Evangeliums, der es versteht, Altes und Neues aus dem reichen Schatz der Tradition hervorzuholen.

DIE BERGE TANZTEN. Die Psalmen. Aus dem Urtext übertragen von Alisa Stadler. Mit einem Vorwort von Schalom Ben-Chorin. Herold-Verlag, Wien 1986. 304 Seiten. öS 348.-.

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