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Ramische Dekadenz

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Wo die Laster der Herrschenden höher geschätzt werden als deren Tugenden, ist die Welt dem Bösen näher als dem Guten. Derart bündelt der antike Geschichtsschreiber Tacitus jene Verfallskritik, die lange vor dem tatsächlichen Untergang des römischen Imperiums dessen Entartung beklagte und für Erneuerung warb.

Die Ambivalenz von Niedergang und Innovation, von Dekadenz und Regeneration, aufgehoben in einem zyklischen Geschichtsbegriff, hat die nunmehr veröffentlichte Dissertation Karl Dietrich Brachers aus dem Jahre 1948 zum Gegenstand. Aus der präzisen und färbigen Diktion des Wissenschaftlers erhellen die geistigen Richtungskämpfe jener Periode zwischen den Imperatoren Tiberius und Trajan, in der sich die Geschlossenheit des römischen Stadtstaats in ein universalistisches Völkergefüge auflöste.

Einströmende östliche Heilslehren, nach Bracher im Zeichen europäisch-asiatischer Rivalität, zersetzten zunehmend römische Identität. Sittlicher Niedergang, Eheflucht, Befürwortung von Abtreibung und Kinderlosigkeit entvölkerten Italien und schwächten politische Führungsschichten. Die verlorene „virtus“ vermeinte Tacitus aufbewahrt bei den unbändigen, barbarischen Stämmen hinter den umkämpften Grenzflüssen Rhein und Donau: den Germanen.

VERFALL UND FORTSCHRITT IM DENKEN DER FRÜHEN ROMISCHEN KAISERZEIT. Von Karl Dietrich Bracher. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Graz 1987. 348 Seiten, brosch., öS 640,-.

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