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Schwache Waffe Romantik

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Ein Wiedersehen mit Giraudoux' zauberhaftem Spätwerk „Die Irre von Chaillot“ kann man sich nur als beglückend vorstellen: Das Grazer Schauspiel zeigt das Stück jetzt zum ersten Mal (!) in dieser Stadt. Natürlich ist alles noch und wieder da: die holde Poesie der Märchenallegorie mit ihrer manichäisch anmutenden Einteilung der Menschen in ganz Gute und ganz Böse, die liebevolle Ironie des aphorismenreichen Textes, die romantische Aura des Lumpenproletariats, das ausersehen ist, die Welt von den bösen Kulturzerstörern, Kapitalisten und Umweltverschmutzern zu erlösen.

Aber es ist halt doch nicht mehr 1947 und nicht mehr 1967. Was bei Saint-Exupery und Giraudoux noch fast prophetische Ahnung war, ist in den Jahren seither zur grauenvollen Wirklichkeit einer Menschheitsbedrohung geworden. Die Karikatur der Technokraten und Profitgeier, die nicht nur Chaülot sondern ganz Paris für den Fortschritt ihrer Interessen zerstören wollen, wirkt im Zeitalter der Atomkraftwerke harmlos, und die bezaubernde Naivität der „wahnsinnigen“ Aurelie, die die Bösen ganz ein-

fach in den Orkus der Pariser „egouts“ schickt, kommt einem heute fast zu naiv vor. Angesichts der Vergeblichkeit einer Studentenrevolte, die vor zehn Jahren mit der Devise „L'imagi-nation au pouvoir“, die von Giraudoux sein könnte, auf die Barrikaden gestiegen war, mutet die bezaubernde Romantik dieser beiden Akte wie eine nostalgische Unverbindlichkeit an.

Und dann kann die Inszenierung von Tebbe Harms Kleen leider auch nicht verbergen, daß dieses Beinah-Frag-ment eben aus sehr viel Text besteht, aus einer theaterpraktisch nicht recht aufgelösten Abfolge von Arien; es fehlt das Flirrende, impressionistisch Hingeworfene dieser Szenen. Ein Umstand allerdings adelt die bemühte Durchschnittlichkeit der Aufführung: Angela Sälloker ist für die Titelrolle in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. Der liebenswürdige Charme dieser faszinierenden älteren Dame, der Nuancenreichtum ihrer Stimme und ihrer Gesten, die schlichte Herzlichkeit ihrer Rollengestaltung sind wahrhaftig ein Erlebnis.

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