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Stottern ist heilbar

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Mehr als 90 Prozent Erfolgsquote hat der Amerikaner Martin Schwartz mit seiner neuen Stotter-The-rapie. Er führte sie jüngst im Salzburger Bildungshaus St. Virgil vor.

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Mehr als 90 Prozent Erfolgsquote hat der Amerikaner Martin Schwartz mit seiner neuen Stotter-The-rapie. Er führte sie jüngst im Salzburger Bildungshaus St. Virgil vor.

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Hier soll von einem Kind die Rede sein, das seit seinem vierten Lebensjahr stotterte. Sieben Jahre lang konnten dem Buben weder Logopäden noch Psychotherapeuten in Österreich und Deutschland helfen. Die Eltern versuchten es immer wieder, Thomas wurde immer verwirrter von dem, das er üben sollte, ohne daß es ihm half. Schließlich hieß es: „Das Kind ist ein chronischer Stotterer. Da kann man nichts machen. Seien Sie froh. Es gibt Schlimmeres."

Durch einen Zufall hörten die Eltern von einem Buch mit dem Titel „Stottern ist heilbar". Der Autor ist der Forscher Martin F. Schwartz, Professor an der Universität in New York und Leiter des „National Center for Stutte-ring" in New York. Bald darauf wurde ein Termin vereinbart. Ende Oktober des Jahres 1983 flog Thomas mit seinem Vater nach New York. Einen Tag später saßen sie bei Professor Schwartz im „National Center for Stuttering".

Schwartz erklärte: „Manche Menschen verschließen ihre Stimmbänder, wenn sie unter Streß stehen. Wenn sie jung sind und der Streß ist groß genug, können die Stimmbänder sich verschließen. Wenn das passiert, können sie nicht sprechen. Sie fangen an, zu kämpfen, um die Blockierung aufzulösen. Der Kampf wird zur Angewohnheit.

Stottern ist eine schlechte Angewohnheit, die man jahrelang übt. Also braucht man Jahre, um sie sich wieder abzugewöhnen."

Thomas macht ein enttäuschtes Gesicht.

„Wir fangen jetzt mit dem Abgewöhnen an", sagt Martin Schwartz lächelnd, „du wirst bald nicht mehr stottern. Heute schon. Aber du wirst wieder rückfällig werden, monatelang, jahrelang, genau so, wie du jahrelang gebraucht hast, um dir das Stottern anzugewöhnen. Deshalb mußt du üben."

Schwartz sieht Thomas an: „Wie heißt du?"

Der Bub verkrampft sich von Kopf bis Fuß, wird rot, grimas-siert, nickt mit dem Kopf, rollt die Zunge aus dem Mund, keucht - es kommt kein Laut heraus.

„Halt! Schau mich an."

Thomas sieht in ein Gesicht, das völlig gelöst, völlig entspannt ist. Die Lippen sind leicht geöffnet, der Unterkiefer hängt. Professor Schwartz erklärt dem Buben die Airflow-Technik. Es sind sechs kurze Anweisungen, klar verständlich, leicht auszuführen. Dann sieht Thomas wieder in das entspannte Gesicht des Arztes. Sein Gesicht nimmt den gleichen gelösten Ausdruck an, seine Schultern sind locker, die Arme, die Hände. Er folgt den Händen von Professor Schwartz, die ihm das Zeichen geben für seinen Ein-sätz

„Wie heißt du?"

„Ich heiße Thomas Hall."

„Wo bist du geboren?"

„Ich bin in Salzburg geboren."

Es scheint ein Wunder geschehen zu sein. Thomas spricht fließend. Schwartz lächelt: „Das ist kein Wunder. Es ist sehr harte Arbeit, jahrelang."

Das Frage- und Antwortspiel geht weiter. Thomas antwortet ruhig und entspannt. Es sind kurze Sätze, die er spricht, aber er spricht sie fließend.

Nach fünf Tagen fliegt er wieder nach Hause. Für die nächsten zwei Jahre heißt es üben, üben, üben, täglich eine Stunde. Wer nicht eisern übt, wird rückfällig. Zwei Jahre lang wird Thomas durch das Center in New York nachbetreut: er bespricht Tonbänder, die in New York kontrolliert, besprochen und mit Anweisungen versehen, wieder an Thomas zurückgeschickt werden. Später kommt Schwartz zu zwei Auffrischungskursen nach Europa.

Im Januar dieses Jahres hielt Martin Schwartz zum ersten Mal einen „Workshop" in Frankfurt mit deutschen Stotterern. Mit gleich gutem Erfolg.

Workshops in Salzburg

Anfang Oktober dieses Jahres kam Schwartz zum ersten Mal nach Österreich und hielt im Salzburger Bildungshaus St. Virgil einen Workshop mit österreichischen Stotterern. Mit gutem Erfolg. Für alle Teilnehmer setzt sofort die Nachbetreuung durch das National Center in New York ein. Die beiden Workshops zur Auffrischung wird Schwartz selbst in Abständen von rund einem halben Jahr halten. Sein Ziel in Deutschland und Österreich ist es, Logopäden in seiner Methode auszubilden, denn: „Ich kann nicht mit allen Stotterern auf der ganzen Welt arbeiten." (Er hat bis jetzt mit über 6000 Stotterern in 21 Sprachen gearbeitet. Stottern ist ein internationales Problem.)

In den Staaten hat er schon zahlreiche Logopäden nach seiner Methode ausgebildet, die mit gleich gutem Erfolg arbeiten. Seine Erfolgsrate beträgt über 90 Prozent — wenn der Stotterer die Bedingung erfüllt, zwei Jahre lang eine Stunde täglich zu üben, um die neue Gewohnheit zu kräftigen- In Deutschland haben sich, nach amerikanischem Muster, schon Clubs gebildet in denen die Stotterer in regelmäßigen Aussprachen ihre Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig Mut zu machen. Stottern ist kein Schicksal mehr, das man annehmen muß.

Auskünfte: Bildungshaus St. Virgil. 5020 Salzburg, Ernst-Grein-Straße 14, Tel. 0662/ 23445.

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