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Stühle an die Macht?

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Die Zahl der Stühle und Sessel in den europäischen Ländern übertrifft die der menschlichen Bevölkerung in einem Verhältnis von etwa 15 : 1.

Ich habe allein in meinem Zwei-Personen-Haushalt zwölf Sitzgelegenheiten, Sofas und Couchen nicht mitgerechnet. Meinem Sohn stehen Stühle in der Schule zur Verfügung, für mich stehen Stühle in jeder Kneipe bereit, und für uns beide werden Stühle und Sessel in Theatern, Kinos, Restaurants, bei Ärzten und Zahnärzten und so weiter frei gehalten. Die Schätzung 15 : 1 ist also eher zu knapp.

Das kommt davon, daß die Menschen den Stühlen gegenüber eine Position einnehmen wie einst die Kolonialherren, die für jede Arbeit einen anderen Boy hatten. Und sollte jemanden dieser Vergleich unangenehm berühren, kann er sich auf die Prinzipien der englischen Gewerkschaften berufen, die für jede Handbewegung einen anderen Spezialisten vorschreiben.

Die Masse dieser unentbehrlichen Möbelstücke stellt eine ungeheure Kraft dar. Würden sie sich vereinigen, könnten sie auf einmal die Menschen zu Fall bringen. Buchstäblich. Trotz der großen Unterschiede zwischen ihnen - sie reichen von einem bescheidenen Hocker oder Schemel bis zum Thron, janoch höher, bis zum weichen und wissenschaftlich konstruierten Vorstandssitz einer Mammutfirma - haben die Stühle die besten Gründe und Voraussetzungen, sich zu vereinigen:

Sie werden nämlich alle im direkten Sinn des Wortes von den Menschen unterdrückt.

An Führern fehlt es ihnen nicht -Führer gibt es immer und überall genug, und die verweichlichten Polstersessel haben sicherlich eine Menge ehrgeiziger Nachkommen, die sich nicht ausgefüllt fühlen.

Sie haben auch Millionen harter Kämpfer aus Holz, Stein und Stahl. Manche hochgestellten Sessel haben starke Machtpositionen inne, denn sie und nicht die Leute, die in ihnen sitzen, sind entscheidend. Warum haben aber die Stühle noch nicht die ganze Macht in unserer Welt übernommen?

Die einzige Erklärung ist, daß sie noch nicht daran interessiert sind, die Verhältnisse umzukehren. Die Menschen sind falsch konstruiert und bieten den Stühlen keine bequeme Sitzgelegenheit. Die Sessel werden aber immer raffinierter und formen immer mehr die menschlichen Körper nach ihrem Willen.

Wenn es einmal soweit ist - dann wehe den Menschen! Die Sessel und Stühle werden zur Revolution aufmarschieren und anrollen, mit Milliarden von Beinen, mit Millionen von Rollern.

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