Wahrsagerei ist ein sehr altes Gewerbe, älter als die Prostitution. Es konnte aus zwei Gründen so alt werden: weil die Menschen zu allen Zeiten in Unsicherheit lebten und leben und deshalb wissen möchten, was sie erwartet und was sie tun sollen; und weil die meisten Wahrsager selbst nicht an ihre magischen Fähigkeiten glauben.
Wahrsager, die an ihre hellseherische Kraft glaubten, riskierten
exakte und kurzfristige Prognosen, und wurden früher oder später geköpft, oder im besten Fall vertrieben, wenn sich ihre Voraussagen nicht bestätigten.
Vorsicht ist die Mutter nicht nur der Porzellankiste, sondern auch der gewerblichen Propheten.
Seit dem Altertum gaben alle Orakel unverständliche, geheimnisvolle, beliebig auslegbare Antworten, oder klare, jedoch erst in weit
entfernter Zukunft nachprüfbare; oder richtige, die aber auch ohne Orakel selbstverständlich sind. Und so ist es bis heute geblieben - nachzulesen in jeder Zeitung, die Horoskope abdruckt.
Niemand verdient sich seine Brötchen leichter als ein Horoskopenschreiber. Bitte schön. „Skorpione, mobilisieren sie am 12. August alle ihre geistigen Kräfte, Erfolg sicher.“ Hat ein Skorpion, der diesem meinem Rat folgte, am 12. August irgendeinen Erfolg-was immer er dafür halten mag - bin ich ein toller Wahrsager. Hat er an diesem Tage nichts erreicht, ist er selbst schuld - er hat sich nicht genug angestrengt. Und das Mobi-
lisieren der geistigen Kräfte kann niemandem schaden.
Oder: „Löwen, Vorsicht: Der 12. August ist für unüberlegte Geschäfts- und Liebesabenteuer ungünstig!“ Auch dies ist eine todsichere Prophezeiung, denn unüberlegte Abenteuer sind zu jeder Zeit gefährlich.
Sollte einem Löwen dehnoch am 12. August irgendein Abenteuer gelingen, wird er nicht den Wahrsager auslachen, sondern sich selbst zuschreiben, daß er die Mächte des Schicksals zu überlisten vermochte.
Wie viele alte Berufe, macht sich auch die Wahrsagerei den Fortschritt der Technik zunutze. Es gibt schon einen Taschenrechner, der im Nu persönliche Horoskope, Planeten-Einfluß und solches Zeug berechnet.
Wie paßt ein Computer, die Genauigkeit in Reinform, zum nebelhaften Geschäft der Wahrsager? Sehr gut. Er kann wohl schnell und exakt die Positionen der Sterne und Planeten ausrechnen, nach den Regeln der Wissenschaft.
Die Prophezeiung kann er nur nach den alten Regeln der Astrologen vornehmen, wie sie ihm programmiert wurden. Außerdem ist es natürlich bequemer, einen Taschenrechner mitzuführen als eine alte Zigeunerin - der Nutzen bleibt der gleiche.
Der Computer hat nur den einzigen Zweck: Durch sein wissenschaftliches Image überzeugend zu wirken. Computer können nicht besser prophezeien als ihre lebenden Kollegen aus der Hellseher-Branche, höchstens schneller.
