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Weltgeschichte(n)

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„Mein Herr“, sagte die Pallas Athene, die vor dem Parlament die Wache hält, auf daß der österreichischen Demokratie kein Leid geschehe, zur Geisterstunde zum Rathausmann, „Sie sollten aus Protest gegen ' die Skandale, die sich zu Ihren Füßen häufen, Ihren Rücktritt erklären, herunterklettern und sich einschmelzen lassen!“

„Sie sind“, antwortete der Rathausmann, „nicht auf dem laufenden. Solche Aktionen sind nicht mehr modern, seit die Demontage eines Rathausmannes zu größeren internen Komplikationen führt als der Einsturz einer ohnehin schon alten Brücke, die längst durch eine modernere und schönere ersetzt gehört. Ich stehe viel zu hoch oben, um eingeschmolzen zu werden. Denken Sie doch allein an die Mühe, mich herunterzuholen!“

„Ich hab' ja gesagt, Sie sollten selbst heruntersteigen!“ sagte die Pallas Athene.

„Das geht nicht“, sagte der Rathausmann, „denn bei einem Mann wie mir sind die Gesetze der Schwerkraft umgekehrt. Fallen mag das mindere Volk, unsereiner wird von der Schwerkraft emporgetragen. Wenn wir fallen, dann fallen wir nach oben, und ich bin glücklich, daß mir in Zukunft wenigstens dieses schreckliche Schicksal erspart bleibt. Zum Hinuntersteigen hätte ich wirklich nicht mehr die Kraft.“

„Vielleicht könnte ich Ihnen dabei helfen“, meinte Pallas Athene nachdenklich und mitleidig, „gerade, weil sie so schwierig ist, würde eine solche heldenhafte Überwindung der politischen Schwerkraft Ihren ewigen Ruhm begründen!“

„Geht leider nicht“, sagte der Rathausmann, „außer Ihnen will nämlich niemand, daß ich hinuntersteige. Die Wiener würden mich gar nicht lassen. Denn erstens liebt mich Wien doch so innig. Zweitens ist beim besten Willen nicht zu sehen, wer in der Lage wäre, einen Mann wie mich zu ersetzen. Und drittens kann ich dieser Stadt nirgends so nützlich sein, wie hier in luftiger Höhe, wo ich den weitesten Überblick habe. Und dieser meiner Stadt zu dienen, ist schließlich mein höchstes Ziel!“

„Wenn man von Ihrem Posten aus alles wirklich so gut sehen könnte“, sagte, mittlerweile etwas verärgert, die Pallas Athene, „dann hätten Sie doch auch die Schäden an der Reichsbrücke wahrnehmen können. Oder wenigstens bemerken müssen, daß sich niemand ernsthaft um ihren Zustand kümmerte. Haben Sie denn immer nur in die andere Richtung geschaut?“

„Sie haben keinen guten Standort“, sagte der Rathausmann, „leider hat man Sie an einem Platz aufgestellt, von dem aus man wirklich nicht weit sieht. Würden Sie hier oben an meiner Stelle stehen, dann würden Sie sofort erkennen, daß der Einsturz der Reichsbrücke gar kein so weltbewegendes Ereignis ist. Dort drüben zum Beispiel, etwas hinter dem Horizont, liegt der Libanon. Dort ist eine ganze Stadt eingestürzt, und keineswegs von selbst. Und hier mokieren sich die Leute über das kleine Malheur mit der Brücke.“

„Und was ist mit dem Allgemeinen Krankenhaus?“ sagte Pallas Athene.

„Schon wieder so eine kleinliche Beckmesserei. Was sind ein paar Milliarden Schilling mehr gegen die amerikanischen Rüstungskosten? Was sind ein paar hundert Betten zuviel gegen die unnötigen Düsenjäger der Russen? Was ist die Fehlplanung eines Krankenhauses gegen die Fehlplanung einer Welt? Nein, wirklich, Frau Kollegin, Ihnen mangelt es an der großen Perspektive!“

„Und der Bauring?“ schrie Pallas Athene, „die Verschleuderung öffentlicher Mittel? Das ungeklärte Hin-und Herfließen der Provisionsmillionen?“

„Kleinigkeiten“, sagte der Rathausmann, „heben Sie Ihre Augen zum Himmel, was sind ein paar zwischen den Konten kreisende Millionen gegen die dort oben kreisenden Satelliten; ganz zu schweigen von den Sternen?“

„Sie gehören wirklich abgeschossen!“ sagte Pallas Athene.

„Selbstverständlich müssen personelle Konsequenzen gezogen werden“, sagte der Rathausmann mit seinem charmanten, spitzbübischen, durch eine Anwandlung von Traurigkeit nun nur noch anziehenderen Lächeln, „irgendein kleines Rathausmandel wird schon zurücktreten. Eines, das nicht so hoch steht wie ich und daher auch keinen so mühsamen Abstieg zu bewältigen hat. Man muß auch diese Dinge rationell und vernünftig durchführen.“

„Wie wäre es mit einem kleinen Rathausmann aus einem Souvenirgeschäft?“ sagte Pallas Athene bitter.

„Endlich verstehen Sie mich!“ rief der Rathausmann, daß es über den Rathausplatz hallte. „Selbstverständlich bekommt er auch eine schöne Pension!“

„Ich finde das Ganze ein wenig schäbig“, sagte Pallas Athene.

„So ist eben die Politik“, sagte der Rathausmann, „aber man muß sich nun einmal für das Volk aufopfern. Glauben Sie denn, ich stehe gern hier oben, so hoch über den Menschen?“

Da es in diesem Moment ein Uhr schlug, konnte ihm Pallas Athene diese immerhin interessante Frage leider nicht mehr beantworten.

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