7029735-1989_25_16.jpg
Digital In Arbeit

Wer tagt, gewinnt

Werbung
Werbung
Werbung

Tagungen heißen deshalb so, weil in ihrem Verlauf zumeist mindestens auch eine Nacht fällt. Tagungen von kürzerer Dauer sind keine solchen, sondern simple Sitzungen. Je länger eine Tagung ist, umso beliebter ist sie bei den Teilnehmern. Das ist selbstverständlich, denn alle Tagungsteilnehmer sind an den einzelnen Teilen der Tagung äußerst interessiert.

Zu den wichtigsten Teilen einer Tagung gehört das Damen- und das Rahmenprogramm. In unserer emanzipierten Zeit können am Damenprogramm auch Herren teilnehmen, am Rahmenprogramm Herrschaften beiderlei Geschlechts. Das Damenprogramm findet tagsüber, das Rahmenprogramm abends statt. Für die Teilnehmer am erSte- ren ist die Pause vor dem Abend der wichtigste Zeitraum, da sie sich in diesen Stunden erfrischen und umziehen, um den Teilnehmern am eigentlichen Tagungsprogramm gestärkt entgegentreten zu können.

Auch diese wechseln die Anzüge, haben aber weniger Zeit dazu, was man ihnen am Abend auch ansieht. Außerdem sind sie noch vom Programm derTagung beeindruckt, das sich meistens aus Schulungs-, Weiterb ildungs- oder Fachvorträgen sowie anschließenden Diskussionen zusammensetzt. Vereinzelt werden auch Arbeitsgruppen gebildet, was die Menge der zu gewinnenden

Erkenntnisse zwar schmälert, dem einzelnen zur Stärkung seiner Persönlichkeitsfindung mittels Wortmeldung jedoch Gelegenheit zu aktiver Mitarbeit bietet.

Der hier eingeleitete Erfahrungsaustausch wird, um den Damenpro- grammteilnehmem zu imponieren, während des Rahmenprogramms oder wenigstens an dessen Beginn fortgesetzt.

Da das regelmäßig zu klein dimensionierte kalte Buffet neuen Gesprächsstoff bietet oder aber auch wegen der einsetzenden Kampfhandlungen das Gespräch schlechthin beendet, ist die Buffeteröffnung der eigentliche Schlußpunkt des Fachgesprächs.

Nun kann dazu übergegangen werden, Glas und Teller in den Händen, die letzten Avancements, Affären und politischen Meinungsumbildungen in den Mittelpunkt zu rücken. Es ist jetzt auch der Moment gekommen, da Subalterne Höhergestellten wie zufällig über den Weg laufen, je nachdem ihre Begleiter und Begleiterinnen vor-’ stellen oder verheimlichen und das seit Tagen eingelemte Bonmot fallenlassen.

Visitkarten werden ausgetauscht, Treffpunkte, die bei nächster Gelegenheit verschoben und abgesagt werden, vereinbart und Witze erzählt.

Die Länge eines Tagungsabends ist proportional zur Länge der Gesichter ihrer Teilnehmer am nächsten Morgen. Der weitere Verlauf der Vorträge und Seminare schleppt sich mühsam dahin. Erst bei der

Abreise der Teilnehmer kommt wieder Leben in dieselben. Sie versichern einander händeschüttelnd, noch selten an einer so gewinnbringenden Tagung teilgenommen zu haben, bedauern leidenschaftlich deren Ende und freuen sich sehr öffentlich auf die nächste.

In einer Entfernung von etwa zehn Kilometern atmen sie dann nach Tag(ung)en zum erstenmal wieder ordentlich durch.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung