Liest man Imre Läzärs „Fall Horst Wessel", so hat man, soferne man jene Tage bewußt erlebt hat, vorerst alle Emotionen hintanzustellen. Das Buch ist eine einzigartige Dokumentation nicht nur des „Falles", sondern des Wessel-Typs überhaupt: des Wessel-Typs, dem infolge seiner Fähigkeit zu gedanklichen Kurzschlüssen und infolge des beschränkten Horizonts seiner kleinbürgerlichen Herkunft von Natur aus jener Mut zu eigen war, der unsereinem erst aus der Empörung über Mord, Raub, Lüge, Kitsch Verherrlichung und Massenwahn erwuchs.
Imre Läzärs Dokumentation birgt viele Überraschungen. Die größte davon ist die Erkenntnis, daß die Dummheit der Kommunisten vor dem Zweiten Weltkrieg geradezu überwältigend gewesen sein muß. Sie brachten es fertig, das Begräbnis des von einem kommunistischen Zuhälter niedergeschossenen Wessel zu stören und auf Angehörige und Pastoren einzudreschen. Die natürliche Folge war es, daß die parlamentarische Vertretung der Nazis von 17 auf 110 Mandate anstieg und die NSDAP dementsprechend in Deutschland auf demokratische Weise an die Macht gelangte. Erst während des Zweiten Weltkrieges griffen die Kommunisten auf die Gedankenwelt Peters des Großen und anderer genialer Despoten zurück und verschafften damit dem Kreml seine heutige direkte und indirekte Weltherrschaft.
Die zweite Überraschung besteht in der Feststellung Läzärs, daß Goebbels, und viel später Hitler, erst während der wochenlangen Agonie Wessels den Wert erkannten, den dieser Typ für die Ziele der Nationalsozialisten hatte. Der Wessel-Typ ging ekstatisch singend in den Tod, er wurde während des Krieges zu Zehntausenden hingemäht, er ist heute so gut wie nicht mehr existent - die linksintellektuellen Terroristen unserer Tage sind aus einem anderen Holz.
DER FALL HORST WESSEL. Von Imre Läzar. Erschienen 1980 bei Belser AG Tür Verlagsgeschäfte & Co. KG, Stuttgart und Zürich. 200 Seiten Text und 56 Seiten (historische) Abbildungen, öS 218,40
