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Werte als Kompaß

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Wer heute ein Buch über „Gewissen in der Politik” schreibt, verdient Preise schon für den damit bewiesenen Mut. Alfred Klose ist daher für den Versuch einer Grundlegung zur politischen Ethik jedenfalls zu danken. Freilich liegt es geradezu an der Natur solcher Lehrbeispiele, selten auch noch befriedigend zu sein.

Jeder sucht Antworten auf die Fragen des Lebens und muß auch Antworten geben, die er verantworten kann. Wir sollten uns ein Gewissen machen. Was wir von Gut und Böse glauben, ist schon wichtig. Entscheidend auf dem Weg zum Besseren (oder auch Schlechteren) ist die Gewissensbildung nach dem Maß des Menschen.

So kommt man (bis zum Ende nach-lesend) zum ersten Schluß, es komme auch für die politische Ethik vor allem auf das „Vorverständnis” an: Was wir vom Menschen in der Mitwelt als echten Wert verstehen, als Ziel nämlich, das auch dem Miteinander-Leben Sinn gibt, müßte das Handeln in sozialen Bezügen bestimmen. Von da an ist alles „nur” eine Sache der wirklichkeitsgemäßen Folgerichtigkeit.

Was als menschengerecht gilt, kann nicht offen bleiben. Das „übergeordnete” Leitbild bestimmt die Mitmenschlichkeit. Gewiß geht es zuvorderst um Entscheidungsethik, soferne man noch, ohne Funktionär zu sein, in der „res publica” zum Handeln kommt. Politik wäre also Kampf um die rechte Ordnung (O. H. von der Gablentz, 1965). Bei Alfred Klose ebenso: Es geht um mitmenschliche Ordnung.

Weil Gewissen, um gebildet zu sein, eben Vorverständnis braucht, sind wirklich grundlegende Ordnungsvorstellungen ebenso schwer zu gewinnen. Ordnung erfließt aus Zusammenhangsdenken und mündet immer in Entscheidungsfeldern, die durch ein Sowohl-als-auch geprägt sind. Die Gesellschaftspolitik des „et-et” ist nun in keiner Weise spannend: Sie zu ertragen, statt ein Auge zuzumachen, ist Hauptquelle jeden Versagens.

Alfred Klose ist unbestritten ein Mann des verbindenden Denkens. Alles scheint richtig zu sein und auch ehrlich — aber halt kampflos richtig.

Probleme sind zu bejahen. Das ist ein Kernsatz christdemokratischer Politik. Christdemokratisch angelegt ist freilich auch die Neigung, Konflikte verdrängen zu wollen, kampfunfähig zu sein. Daß man Macht mißbrauchen könne, sei nun einmal unleugbar vorhanden. Da muß man verfassend beschränken, gewiß auch jede (fast jede) oppositionelle Alternative, wenn schon nicht fördern, so doch zulassen, schließlich bleibt noch immer der Appell zur Einheit in der Vielfalt. Aber ein bißchen „Idyllismus” ist schon inbegriffen, ein bißchen zuviel Grundkonsens in Basisfragen.

Bei Alfred Klose gibt es eine stark auffällige Zahl von Sätzen mit dem Kernteil „Es geht um...”. Diese dem Wissenden nicht sehr nachzutragende Art des Schule-Meisterns ist doch sehr typisch feststellerisch: „So ist es.”

Ist es so? Die Fettdruckzeilenallergie nicht nur von jüngeren Lesern ist letztlich mit Zitaten ehrenwerter Bürger oder gar mit den geschichtlichen Belegen nur selten vollauf zu beheben.

Probleme sind zu bejahen. Konservative bejahen sie bloß. Wir sollten sie lösen wollen — wenn es sein muß, im Konflikt...

Werte sind gut, Ordnung ist gut. Wenn das Stück jedoch kaum mehr gespielt wird? Die Jungen möchten gern zu Hause bleiben, wenn der Krieg kommt. Schon als Kinder haben sie gelernt, vor dem schwarzen Mann davonzulaufen.

Jeder weiß: Das geht nicht. So finge politische Ethik wieder einmal ganz von Anfang an: Die erste Verantwortung wäre, daß alle verantwortlich sind.

Alfred Kloses Buch ist ein Beweisstück für die Kompaßtheorie. Auch seine „Grundlegung” ändert freilich nichts daran, daß wir die Wege selber suchen und finden müssen. Wir brauchen noch mehr Mut, als der Verfasser hier bewiesen hat.

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