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Wider das Unbehagen

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rur die eigenartige Dialektik steigenden Wohlstandes, Lebensstandards und Freiraums auf der einen Seite sowie steigender Unzufriedenheit, Unbehagens und Kritik an den Segnungen wissenschaftlich-technischen Fortschrittes auf der anderen hat es in den letzten Jahren viele Diagnosen und Erklärungen gegeben. Daß wir neben den offensichtlichen äußeren Krisen (von deröko- und Umwelt- bis zur Energiekrise) auch vpr einer grundlegenden Sinn-, Orientierungsoder Identitätskrise stehen, ist ebenfalls nichts Neues.

Daß beides miteinander entscheidend zu tun, ist die These des Büchleins von Franz Mayerhofer „Warum sind alle unzufrieden", in dem der Autor diesen vielfältigen Krisen auf den Grund zu gehen versucht.

Was Mayerhofers Ausführungen von ähnlichen Versuchen unterscheidet, ist der mutige und hellsichtige Blick des Autors: Mayerhofer geht weit über die Oberflächensymptome und Oberflächendiagnosen hinaus, wenn er die Wurzeln der Krise im metaphysischen Bereich sucht.

Die von ihm angezogene „Vertrauenskrise" zeigt sich darin als mehr als ein sekundäres Produkt mannigfacher sozialer, ökonomischer oder politischer Verhältnisse. In ihr wird eine „Kernspaltung der Persönlichkeit" greifbar, die in der Gegenwart zu einer umfassenden Desintegration, zu einem Sinnvakuum und Ohnmächtig-keitsgefühl geführt hat.

Wo der Mensch in den verschiedenen „sekundären Systemen" (auf die Mayerhofer in Anschluß an Freyer zurückgreift) eine Ausklammerung seiner Persönlichkeit erfährt, seine Identität verlorengeht angesichts der verschiedenen Rollenerwartungen, geht auch nicht nur ein einheitsstif ten-des Weltbild verloren, sondern bahnt sich eine Orientierungslosigkeit an, deren Konsequenzen Unzufriedenheit und Einsamkeit sind.

Mayerhofers Skizze der Ideologien als Weltbildsurrogate trifft darum auch ins Schwarze, wenn er sie als Verkündigungen ohne personale Auseinandersetzung mit den Geschehnissen charakterisiert. Die gegenwärtig weit verbreitete — und gelegentlich bestürzende Erscheinung des Unbehagens an der Demokratie wird von Mayerhofer ebenfalls auf den Verlust der Ubersicht über das Ganze zurückgeführt, wobei das Gefühl der Reduktion des Menschen als ein Baustein des Systems die entscheidende Rolle spielt.

Die darum in östlichen wie in westlichen Systemen beobachtbare Außensteuerung und Nivel-lierungstendenz legt Mayerhofer zugrunde, um in vorsichtiger und keineswegs leichtfertiger Abwägung Grundlinien einer Therapie zu ziehen. Mayerhofer plädiert keineswegs für Radikalkuren. Er fordert nicht zu Alternativen, Umkehr, Aussteigen auf, sondern setzt auf Werte und damit auf Ethik und Vernunft.

Daß die detaillierten Antworten nicht nur der Metaphysik, sondern in ihr verharrend einer christlich-theologisch orientierten Philosophie entstammen, verschärft nur die Grundtendenz des Büchleins, das Mut mit äußerster Gegnerschaft zur Resignation verbindet. Persönlichkeit und Gemeinschaft — im Gegensatz zu Individuum und Kollektiv — sind für Mayerhofer Mittel, die Entfremdung und Vermassung unseres Seins zurückzudrängen.

Mayerhofers Appell ist weder von gutmeinendem Optimismus noch von leichtfertigen Rezepten durchdrungen. Gerade dies macht seine Ausführungen so bedenkenswert. Denn der Appell an den einzelnen bliebe wirkungslos, wenn er nicht Grundlinien eines Vollzuges zu setzen vermöchte, denen unsere Sorge ebenso gelten muß wie unsere Hoffnung. Nur so aber kann diese Krise auch zu einer Herausforderung werden, der wir uns stellen müssen.

WARUM SIND WIR ALLE UNZUFRIEDEN? Massenmensch und Gleichgewicht. Von Franz Mayerhofer. Verlag Interfrom, Zürich. TB, öS 68,50.

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