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Wir Bürger

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Wir Bürger sind stolz darauf, verlogen, verklemmt und nicht existent zu sein, wie man uns täglich versichert.

Wir Bürger haben Macht und Geld längst den neuen Herren abgetreten, den Funktionären, Büro- und Technokraten, die sich selbst zum souveränen Volk ernannt haben. Wir beobachten sie neugierig aus dem Untergrund, gemeinsam mit Aristokraten und Bauern, wie sie, mangels jahrhundertelanger Immunisierung, schon in der ersten Generation degenerieren.

Wir Bürger genießen Donnerstag um Donnerstag die elfteilige Verfilmung der Buddenbrooks sehr. Dunkel erinnern wir uns daran, daß es bei unseren Urgroßeltern noch so zuging, erinnern uns an die Haltung und an den Stil, den sie vor hundertfünfzig, vor hundert Jahren entwickelt haben - im Guten und im Bösen. Diese Mischung aus Kalkulation, Selbstbeherrschung und Kultur.

Wir Bürger wissen um die feinen Nuancen in der Darstellung, um die geschmackvollen Interieurs (in denen Urgroßmutter das Regiment führte, ohne deshalb die Emanze spielen zu müssen), wir wissen um die herrlichen Backstein- und Barockbauten in des Römischen Kaisers allergetreuesten Stadtrepubliken. (In denen 1848 die Demokraten Republiken ausrufen wollten, ha, ha.)

Wir Bürger wissen aber auch, daß Thomas Mann sich geirrt hat. Die Buddenbrooks, denen die Familie Mann Modell stand, sind nicht ausgestorben. Sie wurden nicht krank und nicht morbid. Ein Begabter, Klaus Mann, hat sich zwar erschossen, und wir Bürger wissen, daß es in jeder Generation schreckliche Zwischenfälle gibt. Aber unser Zeitgenosse ist ein Golo Mann, den die neuen Herren bei allem schlechten Willen picht totschweigen können, und wir Bürger wissen, was wir an ihm haben; Es geht weiter.

Und wir Bürger, mit Bauern und Aristokraten bis in die Herrscherhäuser hinein verschwägert, warten ab, um, wenn es sein muß, das Ärgste zu überdauern.

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