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Wo Phosphat sich in Dosenbier umsetzt

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Aus der Vogelperspektive gleicht die Insel einem Säulenwald. Nauru, nach Monaco der kleinste souveräne Staat der Welt, ist nur acht Quadratmeilen groß und von weniger als 7000 Menschen bewohnt - ein Körnchen im Pazifischen Ozean, aber die reichste Insel zwischen Neuguinea und Hawaii. Alle Flugwege von Melanesien nach Mikronesien führen über Nauru. Der winzige Inselstaat verfügt nicht nur über Phosphat den begehrten Rohstoff des Kunstdüngers, sondern auch über eine Luftflotte von mehreren Boeings. Zum Ärger anderer Luftlinien unterbietet „Air Nauru” die Flugtarife im Pazifik. Wenn die Maschinen an der äußersten Inselspitze aufsetzen, sieht man hinter geschlossenen Straßenschranken eine Kette wartender Autos. Die 12 Kilometer lange Inselrundstraße verläuft parallel zur Flugpiste. In einer Viertelstunde hat man das Eiland umfahren.

Überall, auch am Strand, sieht man die stalagmitenformigen Überbleibsel der vom Meer und von Spezialmaschinen ausgewaschenen Phosphaterde. Und überall liegen Getränkedosen. Die Nauruaner pflegen Bier und Limonade kartonweise einzukaufen; sie umkreisen mit überdrehten Autoradios ihr Inselchen und verwandeln es allmählich in eine Abfallhalde. Sie sind zumeist von barocker Gestalt ebenso kaufkräftig wie bequem, und haben erreicht wovon andere Völker träumen.

Nauru war bis zum Jahre 1968 ein von Großbritannien, Australien und Neueeland • gemeinsam verwaltetes Treuhandgebiet. Schon damals erhielten die Eingeborenen als legale Besitzer des Bodens die Tantiemen der australischen Phosphat-Gesellschaft, jährlich umgerechnet 18.000 Mark pro Kopf. Für die Förderung des Düngerrohstoffs wurden 1500 Fremdarbeiter von den Nachbarinseln angeworben. In jedem Jahr werden annähernd zwei Millionen Tonnen Phosphat verschifft hauptsächlich nach Japan und in die Trockengebiete Australiens.

Auf dem Weltmarkt erbringt eine Tonne Phosphat durchschnittlich 74 Dollar. Die Produktionskosten des Nauru-Phosphats liegen unter 10 Dollar pro Tonne. 1975 ergab sich für die Nauruaner ein Gesamtprofit von 123 Millionen Dollar pro Kopf. Etwa zwei Drittel der Einnahmen flössen der Regierung und einem Reservefonds zu; der Rest wurde an Bürger ausgezahlt die ihren Boden der Minengesellschaft überlassen haben. Es ist üblich, daß die privaten Grundbesitzer ihre Einkünfte mit ihren Verwandten teilen - wie sich denn überhaupt die eingeborene Inselbevölkerung als eine große Familie empfindet, mit dem Premierminister als Oberhäuptling.

Wenn in 15 bis 20 Jahren die Phosphatlager erschöpft sein werden, sollen die Krater auf Nauru mit eingeführtem Humus gefüllt werden, damit eine Landwirtschaft aufgebaut werden kann. Bis dahin werden sich die Nauruaner ein stattliches Kapitalpolster zugelegt haben. Überall im pazifischen Raum treten Nauruaner heute als Investoren auf. Das „Nauru House” in Melbourne ist das derzeit höchste Gebäude dieser Stadt Kein Wunder, daß daher in Australien über die Nauruaner gespöttelt wird wie in Europa über die Ölscheichs. Mit Kuweit zum Beispiel hat Nauru allerdings einiges gemein: hier wie dort herrscht Dollarschwemme und Süßwassermangel, zahlen die Bürger keine Einkommensteuer, ist die jährliche Geburtenrate von 4,7 Prozent die höchste der Welt.

Naurus Staatsmotto heißt: „God’s will first - Gottes Wille vor allem!” Der Protestantismus, zu dem sich die meisten Insulaner bekennen, kam ursprünglich aus Deutschland. Im Jahre 1888 hatte das Kanonenboot „Eber” der Kaiserlichen Marine vor Nauru Anker geworfen und eine kleine Streitmacht an Land gesetzt Damals lebten 1294 Menschen auf Nauru. Die Deutschen beendeten die blutigen Fehden zwischen den zwölf Inselstämmen. Für die Rolle, die sie bei der Erschließung der Phosphatvorkommen spielten, sind ihnen die Nauruaner heute noch dankbar.

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