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Zu den Quellen des Leids

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Beim Neujahrstreffen der FPÖ in Oberlaa hat der Chef der Freiheitlichen, Jörg Haider, auch Winston Churchill zitiert: „Gelegentlich stolpern Menschen über eine Wahrheit. Aber sie richten sich auf und gehen weiter."

Jörg Haider geht weiter seinen Weg; die „Wahrheit" über die er stolperte, war seine Bemerkung über die erfolgreiche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich...

Jörg Haider sagte auch noch etwas anderes beim Neujahrstreffen in Oberlaa: Wenn Franz Vranitzky das Anschlußverbot als „Instrument der Umerziehung" verewigen wolle, dann sei dies eine „Beleidigung" für alle Patrioten, denn: „Kein Volk kann auf Dauer mit der Kriminalisierung seiner Geschichte leben."

Das ist Haider, wie er leibt, lebt und laviert. So windet er sich hindurch durch die Schwierigkeiten, mit der historischen Wahrheit fertig zu werden: Das Anschlußverbot wird als „Instrument der Umerziehung" diskreditiert, und wer für das Anschlußverbot ist - der ist kein Patriot.

So wie Haider in früheren Äußerungen sehr bewußt den autoritären Ständestaat mit dem totalitären Nationalsozialismus gleichsetzte, um damit durch Vereinfachung zu relativieren, so agiert er auch jetzt als Vernebe-lungskünstler.

Die „Kriminalisierung der Geschichte" ist offensichtlich die kritische Auseinandersetzung mit

dem Nationalsozialismus. Anstatt zu differenzieren, wo wirkliche Schuld war oder nur Fehlhaltung aus Angst oder Feigheit, wird Schuld überhaupt geleugnet oder bagatellisiert.

Dabei zeigt die derzeitige Diskussion in Deutschland um die Verbrechen des Staatssicherheitsdienstes in der einstigen DDR, wie erschreckend leicht der Übergang von einem totalitären System zum anderen war, und wie unter anderen Vorzeichen die Inhumanität triumphierte: Man erklärte einfach, daß nur die Deutschen in der Bundesrepublik schuld am Nationalsozialismus gewesen seien. In der einstigen DDR war eine Gewissenserforschung angeblich nicht notwendig. Dort hatte der „Antifaschismus" gesiegt. Die „Faschisten" waren alle „drüben".

Und weil niemand ernsthaft darüber nachdachte, was Zersetzung des Menschlichen wirklich ist, konnte sie in der DDR weiter gehen und verfeinert werden, bis zur physischen und psychischen Vernichtung von Regimegegnern, unter tatkräftiger Hilfe von vielen, sehr vielen „braven Bürgern", die als Spitzel arbeiteten.

Und auch in Deutschland gibt es jetzt wieder Stimmen, die meinen: „Hören wir doch auf mit der Selbstzerfleischung. Denken wir an die Zukunft."

Die wird aber nicht gut werden, wenn man das Schlechte der Vergangenheit unter den Teppich kehren will.

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