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Zurück zum Kochtopf, Bärbel!

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„Wir haben hier im Osten keine Revolution gemacht, damit die Vertreter der alten Macht ihr Gehalt in Westmark bekommen." Diesen Vorwurf richtet Bärbel Bohley an die Politik-Profis in Ost und West. In einem offenen Brief rechnet sie aber vor allem mit dem „fatalen Opportunismus des,Westens" ab. Die einstige Bürgerrechtskämpferin bemerkt in diesem Schreiben an Antje Vollmer (in der FAZ), jetzt gehe es wieder einmal darum, die Vergangenheit zu retuschieren. Sie erinnert daran, daß Egon Bahr einst dem grünen Abgeordneten Wilhelm Knabe einen Brief geschrieben habe mit der Forderung, er, Knabe, müsse zuerst die Beziehungen zu den Basisgruppen abbrechen, wenn er Gespräche mit der SED wolle.

Bärbel Bohley weist aber auch darauf hin, daß die SPD nicht nur die regimekritischen Basisgruppen in der DDR gemieden habe: ..Auch Solidarnosc, die Charta 77 und die Bürgerrechtler in der Sowjetunion waren keine politische Kraft für die SPD." Wer es vor 1989 im sowjetischen Lager gewagt habe, das Machtmonopol der Kommunistischen Parteien in Frage zu stellen, der werde von denselben Leuten abgemahnt, „die uns heute predigen, daß wir uns mit den jetzigen Verhältnissen abfinden müssen".

Und die jetzigen Verhältnisse sind so, daß es willfährige einstige SED-Genossen in den neuen Bundesländern leichter haben als diejenigen, die gegen das kommunistische System gekämpft hatten, denn die sind auch jetzt noch kritisch, und Kritik will, auch jetzt, niemand hören. Deshalb wird eine Bärbel Bohley an den Kochtopf zurückgepfiffen von den Polit-Profis: , Aber das müssen sie sich schon noch gefallen lassen, daß wir es gemerkt haben: Ihr habt doch nicht recht. Die Weltgeschichte geht nicht nur so, wie es sich ein paar geborene Seifenbüchsendi-plomaten vorstellen: 1989 war eine Stunde, in der sich zähe Zeitgeschichte verdichtet hat zu einem Augenblick Weltgeschichte. Da sind die Einzelkämpfer bestätigt worden, die sich den Politiktrends verweigert haben und ihrem altmodischen Gewissen treu geblieben sind..."

Und dann wurden sie verdrängt, die Einzelkämpfer. Man spielte wieder einmal die Verantwortungsethik gegen die Gesinnungsethik aus. Und die Verant-wortungsethiker zeigten den Gesinnungsethikem, wo ihr Platz ist: nicht dort, wo Politik gemacht wird.

Die Gesinnungsethikerin Bärbel Bohley darf im neuen vereinigten Deutschland offene Briefe schreiben und darin feststellen, daß es nicht auf politisches Urgestein ankomme in unseren Tagen, weil auch Urgestein unter der Last des 20. Jahrhunderts zerbrösle. Sie fordert stattdessen „die Auferstehung von verschütteten Werten, wie Glaubwürdigkeit, Wahrheit, Liebe, Mitleid, Hilfsbereitschaft".

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