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Zwei Fahrten

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Wenn man von Reit nach Moosham fährt, beides Weiler unter dem gar nicht so hohen Hochgitzen, sieht man an der Geländekante, von der man nach dem Ort Winding hinüber und auf die Lugingerseen hinunterschauen kann, ein Feldkreuz stehen. Es ist von einfachster Arbeit. Christus und Maria sind aus Blech ausgeschnitten, das Blech ist ans Holz geheftet, das Blech ist bemalt. Den Hintergrund zu dem Kreuz bildet ein leerer, pyramidenförmiger Wiesenhügel. Eine Telegraphenleitung durchquert die Senke auf Winding zu. Gegen das Grün der Wiesen hebt sich der blaue Mantel der Maria gut ab. Sein Blau ist etwas intensiver als jenes des Himmels, vorausgesetzt, daß man an einem Sommertag, nicht allzu spät gegen Mittag zu, an der Geländekante steht und daß es ein wenig windig ist.

Wenn man von Kothingstraß an den Gehöften von Uebertsroid linkerhand vorbeifährt, gelangt man nach Schörg-stätt. An der Straße, linkerhand, steht eine jener Kapellen, wie sie in der Gegend um den Haunsberg recht häufig sind. Die meisten von ihnen sind in Erfüllung eines Gelübdes an die Gottheit erbaut worden. An der Außenmauer der Schörgstätter Kapelle ist eine Gedenktafel für einen in Rußland gefallenen Soldaten befestigt. Offensichtlich war er ein Sohn der Bauernfamilie, der die Kapelle durch die Generationen gehört. Mit neunzehn Jahren ist er in Rußland zugrunde gegangen. Wenn man auf der Tafel das Wort Rußland liest, weiß man, wie groß und weit und fast ewig und grenzenlos dieses Land in der Vorstellung jener Leute gewesen ist, die die Tafel gestiftet haben.

Man sieht eine leere Grasebene, man hört den Wind, und vielleicht ist eine gletscherweiße Wolke am Himmel, oder sie taucht eben wie der Kopf eines alten, greisenhaften Meertieres an der Erdkimmung auf. Und wie von selbst und mit einer nachkommenden Bitterkeit stellt sich die Erinnerung an die Tafelinschrift an der Steinpyramide am Haunsberg ein: Hier stand der große Kaiser, und sofort.

Fährt man an der Schnellstraße von Elixhausen gegen Ursprung zu, sieht man links, knapp neben der Straße, einen Bildstock. Er ist auf beinahe quadratischem Grundstock aufgemauert, geweißelt. Die Bilder, etwas nachgedunkelte Fresken, deren durchgängiger Ton ein dunkles, gegen Schwarz gehendes Braun ist, sind nach Art von Kaset-ten in das Mauerwerk eingelassen. Allein wäre all dies nicht sonderlich bemerkenswert, stünde der Bildstock nicht so nahe an der Schnellstraße, glitte der Verkehr nicht so zügig und fast geisterhaft vorbei, ein helles, ver-schrecktes Pfeifen ist in der Luft, würde er nicht von Lebensbäumen flankiert, deren weiche, immergrüne Nadelfächer gleich an Friedhöfe denken lassen und an die schmerzliche Süßigkeit eines Abends im Süden, in Siena etwa oder in Umbrien.

Im Kreuzgang des Kollegiatstiftes Mattsee sind alte Grabsteine und Grabplatten aufgestellt, allesamt aus dem braunroten Untersberger Marmor gemacht Auf einem von den Steinen ist dieses kleine Mädchen dargestellt, man möchte es Alice rufen, wie es so im Nachthemd dasteht und betet. Die Sanduhr in ihrem Gehäuse steht daneben.

Wim Wenders machte den Film: Alice in den Städten. Darin fährt ein ausgeflippter Reporter mit einem kleinen Mädchen, das nicht weiß, wohin es gehört, durch das Ruhrrevier. Auch der Reporter weiß nicht mehr, wohin er gehört; ständig macht er Polaroidfotos, um sich anhand der Bilder seiner selbst und seiner Spur zwischen den Dingen zu versichern.

Daran dachte ich, als ich das Mädchen im Kreuzgang vom Mattsee sah. Und natürlich dachte ich an Lewis Car-roll; Alice in Wonderland/Through the Looking Glass, and What Alice Found There.

Und dann sah ich jenen schwarz gekleideten Motorradfahrer wieder vor mir, auf seiner Maschine, in seinem schwarzen Vinyldreß und dem schwarzen Visierhelm, und wie er mir langsam und lässig auf der Schnellstraße entgegengekommen und wie er sehr rasch hinter mir, sehr rasch verschwunden war.

Fahrt nach Wien

Einmal, es war ein schöner Tag mit Gockelhähnen auf dem Zaun und Apfelblüten, ging ich zu meinem Rad hinunter, ich wohne ja auf dem Land und mein Rad steht gleich neben dem Traktor von dem Bauern, und fuhr los. Ich hatte erst so gar keine Absicht, irgendwohin, ich meine, an ein bestimmtes Ziel zu fahren. Ich wollte bloß ein Stück fahren und die Luft schnuppern und an allerlei denken, wie's meine Art ist.

Ich war dann gleich am Wallersee, ist nicht weit von mir zuhaus, wenn man die Wege kennt, und das Wasser blitzte und drüben, gegen Osten, wollte mir die Landschaft noch grüner und der Himmel ganz klingend vorkommen, und ich fuhr weiter. Am Bahndamm oben fuhr ein Zug, eine von diesen schönen blauweißen Garnituren, ich dachte, der ist unterwegs wie du, und weiter dachte ich nichts. Es war windstill,- vorne spürte ich gut die Sonne, die Straße war dunkel, weil noch ein wenig Tau an ihr war.

In Straßwalchen, auf der Bundesstraße Eins, wäre ich ganz gern nach links abgebogen, weil der Wald so stolz herüberschaute und die Hügel hoch waren unter den Bäumen. In dem Wald bin ich oft gewesen. Mit meinem Bruder bin ich da auf eine breite Ulme gestiegen, und wir haben über den Wald hingeschaut.

Dann fuhr ich doch auf der Bundesstraße weiter, kam über Vöcklabruck in das Schwanenstädter Industriegebiet hinein, wo es an der Straße grau ist von Hallen und Lagerplätzen. Eine Tankstelle war mit Fahnen beflaggt, dort tankte ich auf.

Ich fuhr sehr schnell, durch Lambach, durch Wels, und nach Linz zu fuhr ich noch schneller, weil starker Verkehr war und weil ich da durch sein wollte. Neue Heimat, Klein-München und so fort. Vor Enns, den Turm sieht man von weitem, machte ich halt, legte mich ins Gras neben der Straße. Das gefiel mir, so auszurasten. Noch immer war keine Wolke am Himmel, die Sonne schien frisch wie am Morgen, und ich dachte, jetzt hast du sie im Rük-ken, wenn du weiterfährst. Ich fahre zu meinem Bruder, dachte ich, nach Wien, den werde ich kurz besuchen.

In Oed auf den Strengbergen aß ich dann eine Suppe, in der große Griesnocken schwammen. Von der Gaststube aus konnte ich über die Straße hinüberschauen zu einer Werkstätte, wo ein Mann ein Rad reparierte. Er hatte es auf einem Tisch aufgestellt, werkte daran, trat immer einmal wieder zurück, um das Rad zu betrachten. Es war still an der Straße, weil nur selten ein Fahrzeug durchkam. Der Mann verschwand dann kurz in einen Nebenraum, trat heraus und auf die Straße. Er kam in das Gasthaus, in dem ich saß, und trank ein Bier.

Dann war ich schon ziemlich müde, aber ich fuhr ganz gut, kam zügig voran. Und an dem Schatten, den ich vor mir her warf, sah ich, daß der Tag nicht mehr lang war und daß es bald Abend sein würde. Vom Riederberg gings in das Wiental hinein, oder heißt der Fluß anders, es war schon dunkel dort.

Ich meine, mit Freiheit hat das nichts zu tun, sich auf ein Rad zu setzen und durch die Welt zu fahren. Ich meine, man sollte schon frei sein, ehe man sich auf das Rad setzt. Ein Rad ist eine herrliche Sache, meine ich, aber mit Freiheit hats nichts tun.

Anderntags fuhr ich an der Donau entlang nach Linz, und von dort nach Salzburg zurück.

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