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Zwischen Käutner und Fellini

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Ein Jahr nach der Stuttgarter Premiere brach nun über das Theater an der Wien jene Flut von schönen Bildern und auf die Spitze getriebenen Zoten, von Gags und Mätzchen, Funktionellem und Schnickschnack herein, die sich „Faust I“ und „Faust II“, inszeniert von Claus Peymann, nennt. Dem Publikum gehen die Augen über, während es auf manche liebvertraute Verszeile vergebens wartet, denn Deutschlands hehrstes Literaturdenkmal wurde radikal zusammengestrichen. Trotzdem dauern beide Teile zusammen über neun Stunden.

Kein Vergleich mit Krejcas Burg-Inszenierung vor zwei Jahren, hinter deren „Einfällen“ kein nachvollziehbarer Gedanke stand. Peymanns „Faust“ strotzt nicht nur von Leben, greller Buntheit, Einfällen, er ist auch aus einem handfesten Konzept entwickelt. Peymann und sein Ausstatter Achim Freyer machten einen „Faust“ für Goethe-übersättigte Abiturienten,, eine „Faust“-Pe“rsiflage für ein Publikum, das die Verulkung des klassischen Bildungsgutes als Statussymbol seiner Fortgeschrittenheit konsumiert, es aber nicht gern hätte, würde das Kind mit dem Bad ausgeleert (was

denn auch unterbleibt), und dessen Beifall für die jeweils letzte Steigerungsstufe der Derbheit das Solidari-r sierungsritual der Aufgeklärten gegen die Dummen bedeutet. Peymanns Ordinärheit ist hochartifiziell, hat Zitatencharakter, die Walpurgisnacht als Bühnenpendant zum wohlbekannten Pfirsich auf den Plakaten für Klopapier. Routinierte Maßarbeit für ein kühl eingeschätztes Publikum also, keine neue „Fausf'-Interpretation, auch nichts neues über uns selbst, sondern abgezirkelter Konformismus.

Aber Konformismus at it's best. Überreich an Einfällen, an optischen Reizen, an plötzlichen Stimmungswechseln, auch an starken lyrischen Stellen. Allerdings werden die optischen Reize, je mehr sie sich überpurzeln, um so ermüdender. Im übrigen werden die Einfälle genommen, wie und woher sie kommen. Es ist sozusagen ein Faust zwischen dem Käutner der frühen Nachkriegsfilme und dem späten Fellini, mit einem guten Schuß Grotowski. Also alles aus den besten Häusern.

Interessant, packend, zwingend sind auf die Dauer nicht die massierten optischen Reize, auch nicht die Szenen

im Foyer, die in Wien hinter dem Theater auf der Straße gespielt werden, mit Riesenfiguren und einem Kaiser auf der Klomuschel mit vergoldetem Dek-kel, sondern der Österreicher Branko Smarovski als präziser, in jeder Minute präsenter Mephisto, Therese Affolter

als Gretchen und - mit etwas Abstand - Martin Lüttge als Faust. Am dichtesten, geschlossensten, gerieten die letzten Szenen des zweiten Teiles. Da war alles da, was ich mir von einem solchen „Fausf'-Spektakel erwarte.

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