Ethik in modemer Industriegesellschaft

In diese Nische stößt die Arbeit des jungen Schweizer Theologen Christian Kissling, mit einem fulminant-provokanten Unterton: Die Absicht des Autors, von der traditionellen Sozialphilosophie zur kritischen Gesell-schaftstheorie zu gelangen, darf nicht historisch mißverstanden werden: Im direkten Vergleich des in den Hintergrund gerückten Naturrechtstheoretikers Joharmes Messner mit der Begründung der Ethik bei Karl-Otto Apel und der diskursethischen Theorie des kormnunikativen Handelns von Jürgen Habermas betritt Kissling unbeschrittenes Neuland.

Ziel der Studie ist es, den „methodischen Individualismus", der die genuine Erfassung des modernen gesellschaftlichen Lebens unmöglich machte, zu überwinden durch den Ansatz des „methodischen Holismus", um der Ei-gengesetzhchkeit sozialer Institutionen Rechnung tragen zu können. Dabei geht es Kissling darum, die Schwachstellen der jeweihgen Theorie aus der inmianen-ten Interpretation des jeweihgen Autors zu eruieren, um zur Er-kermtnis zu gelangen, daß Naturrechtsdenken und kritische Gesellschaftstheorie nicht in einem konträren, sondern in einem komplementären Verhältois zueinander stehen. Die beiden so ge-gensätzhch erscheinenden Autoren Messner und Habermas rücken nicht zuletzt deshalb näher zusairunen, weil sie eine Sozialethik mit rationalem Anspruch begründen wollen, während neuere Entwürfe von sogenarmten „nicht-rationalistischen' Ethiken mehr zu erwarten scheinen.

Kisslings Buch schließt nicht nur eine Lücke, es dürfte auch Herausforderung für die beiden „Lager" sein, die bisher kaum in einen Dialog miteinander eingetreten sind.

GEMEINWOHL UND GERECHnGKCn.Ein Vergleich von traditioneller Naturrechtsethik urui kritischer Gesellschafistheorie Von Christian Kissling. Herder Verlag, Freiburg 199). 580 Seiten, öS 749,-.