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Kirche und Sozialismus

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Seit einigen Monaten fanden in Wien auf Anregung des derzeitigen österreichischen Gesandten in Paris Norbert von Bischof Gespräche zwischen Katholiken und Sozialisten, Theologen und Sozialwissenschaftlern, Geistlichen und Laien statt, die einer Klärung des Verhältnisses von Kirche und Sozialismus dienen wollten. Die Teilnehmer sahen in'der Beseitigung von eingealterten Mißverständnissen und Vorurteilen eine der vordringlichsten Arbeiten unserer Zeit und eine Grundvoraussetzung des Neubaues Österreichs. Ausgangspunkt der Gespräche war ein Referat Dr. August Zechmeisters: „K irche und Sozialismus, zugleich ein Beitrag zur Frage christlicher Politik von heute“ das demnächst im Rahmen der „Berichte zur Kultur- und Zeitgeschichte“ im Druck erscheinen soll.

Im folgenden wird hiemit nach vorläufigem Abschluß dieser Gespräche ihr wesentliches Ergebnis veröffentlicht, in der Hoffnung, dadurch den Anstoß zu einer Diskussion innerhalb weiterer Kreise zu geben.

1. Die menschlich-soziale Verhaltungsweise, zu der Kirche und Sozialismus ihre Anhänger verpflichten, stimmt im wesentlichen überein. Sie beruht auf der Forderung einer Gesellschaftsordnung brüderlicher Nächstenliebe von Seiten der Kirche und einer Gesellschaftordnung genossenschaftlicher Arbeits- und Lebensverbundenheit von seiten des Sozialismus. Beide gehen aus von der Erkenntnis der Würde der Person und von dem hieraus erfließenden unabding-lichen Postulat der Achtung und Wahrung der Freiheit des Menschen.

2. Diese Gleichartigkeit der Zielsetzung im sozialen Bereiche trat in der jüngsten Vergangenheit im gemeinsamen Kampf gegen die Lehren in Erscheinung, die jene Grundwerte leugneten. Sie soll auch für den uns alle gemeinsam verpflichtenden Aufbau der Zukunft fruchtbar bleiben.

3. Hiezu ist vor allem nötig, in der Beurteilung der sozialistischen Bewegung die atheistisch-marxistische Weltanschauung und eine künftige weltanschaulich indifferente Wirtschaftsordnung, welche eine Vergemeinschaftung der Produktionsmittel vorsieht, zu unterscheiden.

4. Von kirchlicher Seite ist bei klarer Trennung von Weltanschauung und Wirtschaftsordnung kein Einspruch gegen die Ziele sozialistischer Politik zu erwarten, wie aus den bezüglichen Stellen der Enzyklika „Quadragesimo anno“ und aus deren authentischer Interpretation (Anerkennung der Labourparty in England) hervorgeht.

5. Die sozialistische Forderung nach Verstaatlichung der Großbetriebe steht nicht in grundsätzlichem Widerspruch zur katholischen Sozialethik, da die Enzyklika „Quadragesimo anno“ erklärt: „Mit vollem Recht kann man dafür eintreten, bestimmte Arten von Gütern der öffentlichen Hand vorzubehalten, weil die mit ihnen verknüpfte übergroße Macht ohne Gefährdung des

öffentlichen Wohles Privathänden nicht überantwortet bleiben kann.“ Im übrigen hat, wodurch eine weitgehende Annäherung der sozialistischen Forderungen und solcher christlicher Sozialreform erreicht werden dürfte, als Leitnorm zu gelten: Staatssozialismus soweit als nötig, Genossenschaftssozialismus soweit als möglich.

6. Die begriffliche und praktische Scheidung zwischen atheistischer Weltanschauung und planwirtschaftlicher, den Gemeinbesitz der wichtigsten Produktionsmittel voraussetzender Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wird es ermöglichen, Ideen und Ideale des wissenschaftlichen Sozialismus auch für das christliche gesellschaftswissenschaftliche Denken zu übernehmen.

7. Voraussetzung für die angestrebte Vereinbarkeit von Kirche und Sozialismus wäre also einerseits Verzicht des Sozialismus auf Einflußnahme in Fragen der Religion und der religiösen Betätigung und andererseits Verzicht der Kirche auf Einflußnahme in gesellschaftlich- und winschaftstechnische Fragen bei Wahrung ihres sozialethischen naturrechtlichen Lehranspruches. Es wird somit in beiden Fällen eine sachliche Scheidung von Kirche und Politik gefordert, von atheistischen Leitsätzen und politischer Gesinnung, von katholischem Dogma und Soziologie, von atheistischer Weltanschauung und Gesellschaftswissenschaft.

Je mehr Katholizismus und Sozialismus sich auf ihre ureigensten Aufgaben besinnen und beschränken, “um so eher wird das gemeinsame Ziel des sozialen Neubaues erreicht werden.

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