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Wiedergeburt des Nihilismus

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Gerade die Künste, die einst die „schönen" genannt wurden, sind seit langem schon richtiger als die „erschreckenden ', die „provokanten", die „deprimierenden" zu bezeichnen - und sie wollen dies auch sein. An ihren Ursprüngen waren sie als Speerspitze gegen die bürgerliche Gesellschaft gedacht, aber nachdem es diese zumindest in derfriih eren Form nicht mehr gibt, taucht langsam die Erkenntis auf, daß der niederschmetternden

Weltsicht ganz andere Motive zugrundeliegen, daß sie aus viel tiefer liegenden Quellen stammt.

Hinter dem kaum mehr sichtbaren Feindbild einer bürgerlichen Gesellschaft wird ein viel größeres deutlich: nämlich die Welt und der Mensch überhaupt. In den Künsten richten sich zu einem erheblichen Anteil Kräfte gegen den Menschen, gegen die Welt, gegen das Leben selbst. Ein solches Phänomen - allerdings abseits der Künste - ist in der Geschichte überhaupt nichts Neues. Im Gegenteil, schon in den ersten Jahrhunderten des Christentums erschütterte eine aufwühlende Periode unsere Vorfahren: der Kampf des Christentums gegen die Gnosis. Die Gnosis war zu einem Teil als Konkurrenz zum Christentum, zum anderen Teil als Häresie im Christentum selbst entstanden, um mit extremem Irrationalismus die christliche Lehre zu verhindern oder bis in ihr Gegenteil zu deformieren.

Für die Gnosis galt die Welt riicht als Schöpfung Gottes, sondern als fluchvrärdiges Werk eines Gegengottes, des Demiurgen. Man sollte sich von ihr abwenden, sie bekämpfen, alle Gesetze dieser Welt brechen und verhöhnen.

Für den „Erkennenden", der dieses Wissens, dieser Gnosis, teilhaftig wurde, gibt es keine Sünde, keine kommunikative Rücksicht, nur Haß auf diese Welt. Doch ging der Glaube an Gott nie verloren. Im Jenseits gab es ein Jüngstes Gericht, ein Paradies.

Bei den Exzessen von damals konnte man von einem metaphysischen Nihilismus sprechen, während heute möglicherweise nur der Nihilismus übriggeblieben ist.

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