Der "Herrgottswinkel" Tirols

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Erhöhte Lawinengefahr herrscht im Paznauntal schon seit 1319. Die rauhe Gegend weist aber besonders viele Gotteshäuser auf.

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Erhöhte Lawinengefahr herrscht im Paznauntal schon seit 1319. Die rauhe Gegend weist aber besonders viele Gotteshäuser auf.

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Selbst im Fremdenverkehrs-Prospekt steht es: Das Paznauntal mit den Touristenzentren Ischgl und Galtür ist die lawinenreichste Region Tirols. Bereits vor 680 Jahren hatten die folgenschweren Rodungen für Wiesen und Almen begonnen. Walser (aus Wallis, Schweiz) siedelten im Jahr 1319 in Galtür und kämpften in der rauhen Region ums Überleben. Deren Glaube führte trotz schwerster Tragödien zum Bau zahlreicher Kapellen. Aus dem Paznauntal wurde der "Herrgottswinkel" Tirols, das Tal mit den meisten Kapellen - insgesamt 70 an der Zahl, mit teils kulturhistorisch bedeutsamem Inventar.

Das kapellenreichste Tal Österreichs spendete auch eine Kapelle für ein Katastrophengebiet: Hoteliers in Ischgl sammelten 1988 mehr als eine Million Schilling für Erdbebenopfer in Armenien und ließen im "Österreich-Dorf" bei Leninakan ein Haus und eine Dorfkapelle bauen. Als Muster für den Glockenturm diente die Wallfahrtskapelle "Zu den Sieben Schmerzen Mariens".

Dabei gehörte das hinterste Paznauntal mit Ischgl, Galtür und den Weilern Paznaun und Mathon - mangels eigener Kirche und Friedhof - einst zur Unterengadiner Pfarre Sins und damit zur Diözese Chur in der Schweiz. Die Toten mußten über den Fimberpaß gebracht werden, acht bis neun Gehstunden weit, um auf dem Friedhof St. Peter in Sins begraben zu werden. War der Paß im Winter unpassierbar, wurden die Toten in Kapellen, auf Dachböden oder sogar in Schneewächten bis zum Frühjahr eingefroren. Der Mangel an Begräbnisplätzen in alter Zeit führte deshalb im Paznaun zu einem Brauch, wie er sonst nur aus dem oberösterreichischen Hallstatt, bekannt ist: Totenköpfe wurden exhumiert, bemalt und in einer Kapelle aufbewahrt. Sie sind heute noch zu sehen.

Aber auch die Pfarrkirche von Ischgl birgt eine Besonderheit: Ein Silberschrein mit einer Stephansreliquie war in den Wirren des Jahres 1794 vor der französischen Revolutionsarmee aus dem Rheinland in das entlegene Tal in Sicherheit gebracht worden. Der Spitzhelm auf dem 52 Meter hohen Turm der Pfarrkirche von Ischgl mit seinem kunstvollen Schindelmuster erinnert noch heute an eine Lawinenkatastrophe - er steht schief: Ursache soll der starke Luftdruck der sogenannten Madlein-Lawine im Jahr 1817 gewesen sein.

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